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Schriften aus dem MPI für Gesellschaftsforschung
Die politische und die wirtschaftliche Integration Europas sind eng verwoben. Betrachtet man das Zusammenwirken beider Bereiche, wird deutlich, dass Europa aus einer Vielzahl historisch gewachsener Wirtschafts- und Sozialmodelle besteht. Welche wirtschaftlichen und politischen Veränderungen die europäische Integration auslöst, unterscheidet sich daher von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat. Die Beiträge behandeln national spezifische Interessen, Koalitionen und Dynamiken. Sie diskutieren »harte« Formen der Binnenmarktintegration ebenso wie »weiche« Formen wirtschaftspolitischer Koordinierung in den Bereichen der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Steuerpolitik und analysieren die Funktionsweise und die Auswirkungen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion.
Vorwort
Schriften aus dem MPI für Gesellschaftsforschung
Autorentext
PD Dr. Martin Höpner und Dr. Armin Schäfer sind wiss. Mitarbeiter am MPI für Gesellschaftsforschung in Köln.
Leseprobe
Seit Mitte der Achtzigerjahre ist in Europa neben dem einheitlichen Markt auch ein politisches Gemeinwesen entstanden. Zum einen waren die Einheitliche Europäische Akte (EEA, 1986) und der Vertrag von Maastricht (1993) Teil der Marktintegration, mit der eine Vielzahl nicht tarifärer Handelshemmnisse abgeschafft oder zumindest verringert wurden. Zum anderen - und das ist weniger offensichtlich - haben die in den Verträgen festgelegten institutionellen Reformen ein einheitliches, wenn auch facettenreiches politisches Gemeinwesen entstehen lassen - ein politisches Mehrebenensystem, das vielfältige Entscheidungszentren auf supranationaler, nationaler und subnationaler Ebene umfasst. Unser Ausgangspunkt in diesem Kapitel ist, dass die wirtschaftlichen Veränderungen der letzten zwei Jahrzehnte - die Internationalisierung der Güter- und vor allem der Kapitalmärkte, das Schrumpfen des industriellen Sektors und der Beschäftigtenzahlen in der Industrie, der Flexibilisierungs- und Spezialisierungsdruck der Produktion, die Dezentralisierung der industriellen Beziehungen, der Rückgang internationaler Wettbewerbsfähigkeit und die anhaltende Langzeitarbeitslosigkeit - zu einer grundlegenden Reorganisation politischer Herrschaft in Westeuropa geführt haben. Mit dem Keynesianismus scheiterte nicht nur ein spezifisches Instrumentarium makroökonomischer Wirtschaftssteuerung, sondern eine Form der Politik, die aufs engste mit dem Nationalstaat verbunden war. In den Nachkriegsjahrzehnten beruhte die keynesianische Wirtschaftspolitik vieler fortgeschrittener kapitalistischer Gesellschaften auf dem neokorporatistischen Klassenkompromiss und einer konsensualen Einkommenspolitik. Beide hingen ihrerseits davon ab, dass es auf nationaler Ebene umfassende Interessengruppen gab, die tragfähige Kompromisse vereinbaren konnten. Als diese Politik als gescheitert wahrgenommen wurde, begann eine Debatte über die Handlungsfähigkeit des Nationalstaates. Die Suche nach einer anderen Wirtschaftspolitik verlief in dieser Situation in verschiedene Richtungen, doch setzte sich die Auffassung durch, dass der Nationalstaat nicht länger Hauptarchitekt des wirtschaftlichen Wohlstands sein konnte. Folglich entriss die EEA dem Nationalstaat gleich zweifach Entscheidungskompetenzen - indem sie einerseits den Markt stärkte und andererseits Kompetenzen auf die europäische Ebene verlagerte. Dies bildete den Ausgangspunkt der europäischen Integration in den Achtziger- und Neunzigerjahren. Doch auch wenn dies den Ausgangspunkt beschreibt, lässt sich daraus weder die weitere Entwicklung noch das Ziel ableiten. Die Vertiefung der Marktintegration präjudiziert nicht, ob und wie dieser Markt reguliert wird. Diese Frage bildet den Kern einer heftigen, stark politisierten Kontroverse zwischen nationalen Regierungen, Mitarbeitern der Europäischen Kommission, den Richtern am Europäischen Gerichtshof, Parteipolitikern in nationalen Parlamenten und im Europaparlament sowie einer Vielzahl politischer Bewegungen und Interessengruppen. Die Neugestaltung politischer Entscheidungsstrukturen in der Europäischen Union ist mit einer Ausweitung politischer Partizipation einhergegangen. Die Entscheidungen der EU sind Gegenstand einer Auseinandersetzung zwischen zwei Koalitionen geworden, die unterschiedliche Konzeptionen verfolgen, wie Europa politisch konfiguriert sein sollte. Auf dem Spiel stehen nicht bloß einzelne Politiken oder Institutionen, sondern grundlegende Fragen der politischen Architektur der EU. Was sind die verfassungsrechtlichen Prinzipien, die der Kompetenzaufteilung im politischen System der EU zugrunde liegen? Wie sollen bindende Entscheidungen getroffen werden? Wie wird das Verhältnis von Markt und Staat definiert? Wir argumentieren, dass diese wichtigen Fragen die politische Auseinandersetzung in einer Weise strukturieren, die sich nicht auf den Streit über die angemessene Verteilung von Pareto-Gewinnen zwischen den Mitgliedstaaten, die Absenkung von Transaktionskosten oder die Durchsetzung zwischenstaatlicher Abkommen reduzieren lässt. Die europäische Integration ist aus unserer Sicht nicht nur ein ökonomischer, sondern auch ein eminent politischer Prozess. Ziel dieses Kapitels ist es, die Interessen und Ideen derjenigen zu beleuchten, die am politischen Entscheidungsprozess der EU beteiligt sind. Im nächsten Abschnitt stellen wir unser Analyseschema vor. Danach untersuchen wir, wie es zu einer Vertiefung der politischen Integration infolge des Binnenmarktprojekts kam. Im letzten Abschnitt beschreiben wir die Integrationsprojekte, um die sich gegenwärtig die politische Auseinandersetzung in der Europäischen Union dreht. 2 Die Entstehung eines politischen Gemeinwesens Die Entstehung eines politischen Gemeinwesens in der EU ging mit dem grundlegenden Wandel der Entscheidungsverfahren einher. Erstens sind diese Verfahren politisiert worden. Die Anfänge dieser Entwicklung reichen bis in die Mitte der Sechzigerjahre zurück, als die von Jean Monnet geprägte Ära technokratischer Integration zu Ende ging. Die "Methode Monnet" wechselseitiger Zugeständnisse und inkrementellen Problemlösens - die die Vorlage für die neofunktionalistische Integrationstheorie bildete (Haas 1958; Schmitter 1969) - endete, als Streit über die angemessenen Entscheidungsverfahren der Gemeinschaft aufflammte. Wie schon in der von Charles de Gaulle dominierten Periode sind auch heute die Grundlagen der europäischen Integration umstritten. Da seither die Kompetenzen der Union jedoch deutlich gewachsen sind, berührt die Auseinandersetzung die meisten wirtschaftspolitischen Entscheidungen, wie etwa die Gestaltung der Geld- und Haushaltspolitik oder die Rolle des Staates gegenüber der Wirtschaft. Zweitens hat sich seit einiger Zeit die Bandbreite politischer Partizipation in der EU erweitert. Obwohl bereits in den Sechzigerjahren die Gestaltung der Entscheidungsverfahren umstritten war, blieb die Auseinandersetzung darüber doch eine zwischen Eliten. Eine Handvoll nationaler und supranationaler Akteure dominierte das Geschehen (Wallace 1983, 1996). Seit Mitte der Achtzigerjahre hat sich dies entscheidend geändert. Zum einen fand eine Mobilisierung von Interessengruppen auf europäischer Ebene statt, und zum anderen haben sich nationale Entscheidungsträger bemüht, den Integrationsprozess durch parlamentarische Debatten und Referenden zu legitimieren. Tabelle 1 und 2 sowie Abbildung 1 fassen die Unterschiede in dichotomen Idealtypen zusammen. Die formalisierte Darstellung unterschiedlicher Typen - elitär-technokratisch, elitär-politisiert und partizipativ-politisiert - ist hilfreich, solange man im Auge behält, dass damit jeweils Extrempunkte auf einem Kontinuum beschrieben werden und dass die daraus abgeleiteten Integrationsphasen den Idealtypen nur unvollständig entsprechen. In der Post-Maastricht-Phase sind die Entscheidungsverfahren sowohl politisiert als auch partizipativ. Drei Entwicklungen haben zu dies…
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