

Beschreibung
Zeitgeschichte als Wissenschaftsdisziplin ist in der universitären Forschung der letzen Jahrzehnte zum Fixum des geschichtswissenschaftlichen Kanons geworden. Der österreichische Zeithistoriker Ernst Hanisch hat daran einen besonderen Anteil. Die Beiträge der ...Zeitgeschichte als Wissenschaftsdisziplin ist in der universitären Forschung der letzen Jahrzehnte zum Fixum des geschichtswissenschaftlichen Kanons geworden. Der österreichische Zeithistoriker Ernst Hanisch hat daran einen besonderen Anteil. Die Beiträge der Festschrift zu seinem 70. Geburtstag stammen von etablierten Vertretern der österreichischen Zeitgeschichte, die zu seinen Schülern, Freunden und Weggefährten zu zählen sind. Die Aufsätze, die zu einer Vermessung der österreichischen Vergangenheit trotz der "Konkurrenz" durch europäische und universalhistorische Perspektiven anregen wollen, geben Einblick in die thematische Vielfalt zeitgeschichtlicher Forschung in Österreich. Viele der in der Festschrift aufscheinenden Aufsätze greifen das Interesse des Jubilars an der Auseinandersetzung über die theoretischen Grundlagen zeitgeschichtlicher Forschung ebenso auf wie seine Überzeugung, dass zu Wissenschaft die kritische Diskussion unauflöslich dazugehöre.
Autorentext
Franz Schausberger ist Universitätsdozent für Neuere Österreichische Geschichte an der Universität Salzburg. Christoph Kühberger ist Vizerektor für Sozial- und Gesellschaftswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Salzburg. Reinhard Krammer ist außerordentlicher Universitätsprofessor am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg.
Leseprobe
Gerhard Botz 'Rechts stehen und links denken?' Zur nonkonformistischen Geschichtsauffassung Friedrich Heers 'Beachten Sie, ehe Sie sich dem Historiker zuwenden, sein geschichtliches und soziales Umfeld.' (E. H. Carr)1 Heers Geschichtstheorie und Methode Der große französische Historiker Marc Bloch hat 1943/44 die Voraussetzung historischen Erklärens folgendermaßen beschrieben: 'Gegenwart und Vergangenheit durchdringen einander. Dies so sehr, dass sie, was die Arbeit des Historikers betrifft, in beide Richtungen verbunden sind.' Das heist, die Gegenwart zu verstehen, setzt voraus, die Vergangenheit zu kennen; und umgekehrt, die Erforschung der Vergangenheit muss vergeblich bleiben, 'wenn man von der Gegenwart nichts weis'.2 Diese Geschichtsauffassung entspricht in etwa auch jener Heers3, der 1948 betont: 'Geschichtsforschung, die diesen hohen Namen verdient, ist immer Erhellung der Gegenwart aus einer Beleuchtung (und wenn möglich Durchleuchtung) der Vergangenheit. Geschichte ist nun wesenhaft Geschichte des Menschen. Sehr sonderbar und erwägenswert ist die Tatsache, dass es fast völlig fehlt an einer historischen Anthropologie an einer Entwicklungsgeschichte des inneren Menschen, seiner Leiden und Leidenschaften, wie er im Konflikt zwischen ich, Uber- und Unter-Ich, Ich, Du und Es sich entfaltet.'4 Heer skizziert hier wohl inspiriert von der Lektüre Freuds so etwas wie eine frühe Geschichte der Mentalitäten, die in der Mediävistik der Universität seiner Zeit durchaus hervorragende Vertreter hatte, und spricht die erst entstehende moderne 'historische Anthropologie' an.5 Er vertritt hier allerdings auch die Konzeption einer Geschichte, die ständig die eigene Subjektivität reflektierend und erhellend das Ich in die wissenschaftliche Arbeit mit einbezieht.6 Seit der 'poststrukturalen Wende',7 in der Alltagsgeschichte und Erfahrungsgeschichte, ist ein geschichtstheoretisches Vorgehen analog dem, das Friedrich Heer anwandte und das damals als skandalös empfundenen wurde, wissenschaftlich einigermasen akzeptabel geworden.8 Jede 'objektive' geschichtswissenschaftliche Tätigkeit ist auch, wie heute der deutsche Geschichtstheoretiker Jorn Rusen sagt, eine 'subjektive Geschichte'; denn 'im denkenden Ruckgriff auf die erfahrene Vergangenheit ' bestimmen zukunftsgerichtete normative und werthafte Einstellungen, Ängste, Wunsche, Hoffnungen und Befürchtungen den Blick auf die Erfahrung der Vergangenheit []'.9 So formieren sich Perspektiven auf das Vergangene und ermöglichen damit erst historische Erkenntnis. Ebenso wichtig für ein Verständnis der historischen Theorie und der geschichtspolitischen Thesen Heers ist sein offenes Bekenntnis zu einem dem herkömmlichen Wissenschaftsverstandnis diametral widersprechenden Prinzip: Geschichte erforsche und schreibe er nicht 'sine', sondern 'cum ira et studio'.10 Dieses geschichtstheoretische Vorgehen hat paradoxerweise strukturell keinesfalls inhaltlich in jener 'kampfenden Wissenschaft' 11, die von Anhangern des universalistischen Philosophen und Heimwehr-Ideologen Othmar Spann und von den jungen Nationalsozialisten, die in den 30er-Jahren zur selben Zeit wie Heer in Wien studierten und zu denen dieser in einem vehementen Gegensatz stand, vertreten wurde, eine Entsprechung.12 Dies war eine radikale Negation des (bürgerlichen) akademischen Selbstverständnisses von Wissenschaft, das auf 'sine ira et studio', Voraussetzungslosigkeit, Unparteilichkeit, Objektivitat,13 bürgerliche Distanziertheit etc. pochte14 und trotzdem viele 'traditionelle' Wissenschaftler nicht vor einer verhängnisvollen Kooperation mit dem Nationalsozialismus (etwa in den Konzentrationslagern, in der 'Volkstumspolitik' und in der Rüstungsforschung) bewahrt hatte.15 Merkwürdig ist, dass sich hier Parallelen einer solchen von der faschistischen Rechten vorgetragenen Geschichtsauffassung auch zu (orthodox-)marxistischen Geschichtstheorien, zeigen. Kann man diesen Gleichklang noch totalitarismustheoretisch erklären (oder einfach abtun), so ist es denkwürdiger, dass sich aber auch bei allen inhaltlichen und politischen Gegensätzen wissenschaftsstrukturelle Gemeinsamkeiten mit der aufklärerischen Geschichtswissenschaft (vor allem in den 1970er-Jahren) und der österreichischen Zeitgeschichte16 feststellen lassen. Entsprechungen dieser 'kampfenden Wissenschaft' finden sich also auch im Geschichtsdenken Heers. Dies festzustellen bedeutet nicht die geschichtsaufklärerische Geschichtstheorie (zu der ich mich auch bekenne) pauschal und jene Friedrich Heers speziell abzuwerten, sondern es soll nur der historische Kontext deutlich gemacht werden, in dem dieser wie jeder Historiker oft unwissentlich steht. Umso mehr wird hieraus auch Heers Originalität und politische Integrität verstehbar: In einem gewissen Sinne eingebettet in den 'Zeitgeist' stand er als Querdenker dennoch zu einigen der mächtigsten politisch-kulturellen Strömungen seiner Zeit in einem dauerhaften Gegensatz. In den ersten Jahrzehnten nach 1945 wollte man in der akademischen Welt Osterreichs (und Deutschlands) nichts mehr von der seit den 30er-Jahren eingetretenen Kontaminierung durch den Nationalsozialismus und einer derartigen politisch instrumentalisierten (Geschichts-)Wissenschaft wissen, als sich viele Fachvertreter, die im Dienste des Dritten Reiches gestanden waren oder mit ihm kooperiert hatten, als 'unpolitisch' deklarierten und so manche sowohl personelle als auch strukturelle Kontinuitäten kaschieren konnten.17 Dazu kam, dass sie sich zunächst mit der sowjetmarxistischen Geschichtstheorie konfrontiert (und exkulpiert) sahen. So musste Heers mit 'heiligem Zorn' vorgetragene Geschichte in den 50er- und 60er-Jahren auf seine Fachöffentlichkeit ungemein provokant wirken. Seine Geschichtsauffassung stand damit in schärfstem Gegensatz zu den restaurierten konservativen althistoristischen, vielfach nicht einmal (im Sinne der westlich-demokratischen Wissenschaftskulturen) liberal-positivistischen Wissenschaftstheorien seiner eigenen Zunft.18 Umso bedrohlicher wirkte damals auch, dass sie mit der dogmatischen 'proletarischen Parteilichkeit' der DDR-Historiographie gleichgesetzt werden konnte, obwohl Heers Bekenntnis zu einer 'politischen' Geschichtswissenschaft von einem Historiker kam, der mit gutem Grund nicht der marxistischen Linken zuzurechnen war. Erst in den spaten 60er-Jahren fand Heer im akademischen Milieu in der Vor- und Frühphase der 'neomarxistischen' Studentenbewegung breitere Resonanz. Doch erst mit der Durchsetzung eines demokratischen Verständnisses von 'politischer ' Zeitgeschichte in den 70er-Jahren und noch später mit dem Einsickern von Ansätz…
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