

Beschreibung
In Gesprächen mit Philippe Artières und Éric Favereau zeichnet Daniel Defert seinen Lebensweg nach, in dem sich Politik und Persönliches stets unauflöslich miteinander verschränken. Demonstrationen organisieren, Aufrufe und Stellungnahmen redigieren, gegen Sti...In Gesprächen mit Philippe Artières und Éric Favereau zeichnet Daniel Defert seinen Lebensweg nach, in dem sich Politik und Persönliches stets unauflöslich miteinander verschränken. Demonstrationen organisieren, Aufrufe und Stellungnahmen redigieren, gegen Stigmatisierung und Ausgrenzung kämpfen, Allianzen bilden, Privilegien und Redeverhalten reflektieren, sich zu staatlicher Repression verhalten Über einen Zeitraum von etwa 40 Jahren hinweg behandelt das Buch dieselben Fragestellungen, mit denen sich linke radikale Kämpfe und aktivistische Bewegungen auch heute noch konfrontiert sehen.
1960 zieht Daniel Defert zum Studieren nach Paris, er unterstützt die algerische Befreiungsbewegung, lernt Michel Foucault kennen und wird sein Lebensgefährte, arbeitet mit ihm in der Antiknast-Gruppe Gip und gründet 1984 nach dem Tod von Foucault AIDES, die bis heute größte Organisation zur Unterstützung von HIV-positiven und an Aids erkrankten Menschen in Frankreich. In Gesprächen mit Philippe Artières und Éric Favereau zeichnet Daniel Defert seinen Lebensweg nach, in dem sich Politik und Persönliches stets unauflöslich miteinander verschränken. Demonstrationen organisieren, Aufrufe und Stellungnahmen redigieren, gegen Stigmatisierung und Ausgrenzung kämpfen, Allianzen bilden, Privilegien und Redeverhalten reflektieren, sich zu staatlicher Repression verhalten Über einen Zeitraum von etwa 40 Jahren hinweg behandelt das Buch dieselben Fragestellungen, mit denen sich linke radikale Kämpfe und aktivistische Bewegungen auch heute noch konfrontiert sehen.
Autorentext
Daniel Defert war der Lebensgefährte von Michel Foucault bis zu dessen Tod im Jahre 1984. Als Student unterstützte er Anfang der 60er Jahre die algerische Befreiungsbewegung, engagierte sich mit anderen Intellektuellen in der aktivistischen Bewegung Gauche prolétarienne und gründete gemeinsam mit Foucault die Antiknast-Gruppe GIP (Groupe d'information sur les prisons). Die GIP schmuggelte Fragebögen in die Gefängnisse und wertete die Antworten in eigenen Publikationen aus, wodurch zum einen die französische Gesellschaft über die Haftbedingungen aufgeklärt und zum anderen der politische Kampf der Gefangenen selbst unterstützt wurde. Als Foucault 1984 an Aids starb, ohne dass die Ärzte ihm jemals klar die Diagnose genannt hätten, gründete Daniel Defert AIDES, die bis heute größte Organisation zur Unterstützung von HIV-positiven und an Aids erkrankten Menschen in Frankreich.
Leseprobe
In diesem ersten Artikel sagen Sie: »Wir müssen noch mehr Freiwillige für eine Struktur finden, die nach dem Vorbild der Groupe d'information sur les prisons und der Gauche Prolétarienne geschmeidig und mobil bleiben soll.« Sie halten an dieser Abstammungslinie fest? Das Problem zwischen Aids und dem Gefängnis war in der Tat ziemlich gleich: eine stigmatisierende Situation, mit der man nicht zurechtkommt. Während bei der Groupe d'information sur les prisons die Konfrontation mit der Institution Gegenstand des Kampfes war, ging es hier nicht hauptsächlich darum, die Krankenhäuser zu bekämpfen, sondern eine Gegenmacht zu den schlechten Praktiken im Krankenhaus zu bilden: die Krankenschwestern in Astronautenanzügen, die roten Punkte auf den Blutproben von Aidskranken, wenn sie nicht sogar direkt an den Türen oder auf den Schildern an den Fußenden der Krankenbetten angebracht wurden, die Wegwerflaken aus Papier, die Abfalleimer und die Speisetabletts, die in den Zimmern blieben, eine allgemeine Furcht vor dem Patienten, eine Ablehnung des jeweiligen Lebensgefährten als Gesprächspartner, ganz zu schweigen von der Inkompatibilität zwischen Krankenhausdisziplin und Drogensüchtigen in der damaligen Zeit. An Stelle einer allgemeinen Verbreitung der Vorsichtsmaßnahmen, betrieb man eine Diskriminierung der Aidskranken. Haben Sie mit der Gesundheitsministerin gesprochen? Ja, ich habe sie zum ersten Mal auf der Welt-Aids-Konferenz im Juni 1986 getroffen. Wir haben bald über das ganze Programm von AIDES gesprochen. Mit der Gesundheitsministerin Michèle Barzach wurde die Aids-Frage fast ausschließlich vom Kabinett behandelt, weil sie nun zu einer politischen Frage wurde. Man muss unsere Position richtig verstehen. Wir waren eine Macht des Gegenvorschlags, wir forderten nicht nur eine gesetzliche Regelung. Wir verteilten bereits Präservative und bald auch saubere Spritzen für Drogenkonsumenten. Später würden wir ein Programm zur häuslichen Hilfe initiieren. Aber wir wollten keine Dienstleistungen übernehmen, für die der Staat zuständig war: wir wollten sie ausprobieren, bevor der Staat sie allgemein verbreitete. So deckten wir alle Bereiche von Aids ab. Aber jedes Programm wurde mit und ausgehend von der Erfahrung der Kranken entwickelt. Im Grunde ist das die Realität: das stumme Wissen, das die Leute haben. Das erklärt, warum sehr viele Eltern nach dem Tod ihres Sohnes Freiwillige bei AIDES wurden. Das war eine der Fragen, die man uns oft bei AIDES stellte: Wann soll man es sagen? Wie soll man es den Eltern sagen? Die Leute, die sich an AIDES wandten, mussten dieser doppelten Enthüllung ins Auge sehen: dass sie krank waren, und dass sie krank waren, weil sie homosexuell waren. Sie empfanden ihre Krankheit als eine erzwungene Denunziation, aber die meisten hatten das Bedürfnis, diese Enthüllung zu machen. Es gab jedoch einige, die es vorzogen, einsam zu sterben. Was AIDES und Act Up vielleicht auch unterschieden hat, war ihr Verhältnis zum Staat. AIDES hat eher eine Aufklärung der Gesellschaft bevorzugt als eine Kritik des Staates, indem wir die Zielsetzungen der Gesundheit so präsentierten, dass sie die öffentliche Meinung überzeugten, denn wenn es eine öffentliche Meinung gab, leistete der Staat keinen Widerstand mehr. Die Leute mobilisieren sich gegen den Staat, wenn es um etwas geht, das alle betrifft. Wenn die Sexualität oder die Drogensucht nur bestimmte Gruppen betreffen, hat man es schwer, zu mobilisieren. Eine Politik der Sexualität, eine Politik der Drogensucht ist der breiten Öffentlichkeit schwer zu vermitteln, und die Politiker sind, wenn es um Wahlen geht, nicht die besten Pädagogen. Eine Rede über die Sicherheit ist erfolgversprechender als eine Politik zugunsten von Ersatzprodukten für Heroin, eines Drogenkonsumraumes und der Ehe für alle. Ich glaube, es ist viel leichter, den Staat anzugreifen, als die öffentliche Meinung zu erziehen.
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