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Seit Mitte der 1990er Jahre unterliegt die Sozialpolitik einem radikalen Strukturwandel. Was sind die Gründe für die Transformation dieses einst so stabilen Politikfeldes? Christine Trampusch zeichnet die Entwicklung des deutschen Sozialstaates anhand der Arbeitsmarkt und Rentenpolitik nach. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Ursachen im Politikfeld selbst liegen: Der Sozialstaat ist erschöpft. Über Jahrzehnte hinweg wurden die Ressourcen aufgebraucht und zwischen Parteien und Verbänden kam es mehr und mehr zu Spannungen und Konflikten. Die Folgen sind nun aktive Eingriffe der Regierung in das Politikfeld und damit dessen Erosion.
Autorentext
Christine Trampusch ist Assistenzprofessorin für Vergleichende Politik an der Universität Bern.
Leseprobe
Kapitel 2 Entautonomisierung Seit Mitte der Neunzigerjahre manifestiert sich die Erschöpfung im Politikfeld in einer Entautonomisierung der Sozialpolitik. In den folgenden vier Abschnitten wird dies anhand der Rückkehr der Politics und der Dynamik von Parteienkonflikten, der Versuche der Wiederherstellung der Suprematie der Politik, des Strukturwandels der Selbstverwaltung, der Pluralisierung und Liberalisierung der Sozialpolitik sowie der Autonomisierung des Parteiensystems näher erläutert. Mitte der Neunzigerjahre stellen sowohl in den Parteien als auch aufseiten der Wirtschaft radikale Reformkräfte den Sozialkonsens infrage. In den Parteien kritisiert der Wirtschaftsflügel zunehmend den Kooperationskurs von Kohl und Blüm immer stärker, in den Wirtschaftsverbänden fordert der industrielle Mittelstand eine Senkung der Lohnnebenkosten. Versuche einer im Gruppenkonsens beschlossenen Sozialreform scheitern an der Dynamik der Parteienkonflikte sowie aufgrund von Dissonanzen zwischen Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften über den sozialpolitischen Veränderungsbedarf. Als Folge der Diskreditierung einer dreiseitig abgesprochenen sozialstaatlichen Strukturreform setzt sich bereits unter der Regierung Kohl ein an den Gewerkschaften vorbei beschlossener Kurswechsel durch. Dieser wird von der Regierung Schröder nach dem erneuten Scheitern eines Bündnisversuchs mit der Agenda 2010 und den Hartz- Reformen fortgeführt. Parallel zu diesen Veränderungen im sozialpolitischen Entscheidungsprozess verändern sich nachhaltig Strukturen im Politikfeld. Die Regierung beginnt, eine Reorganisation der Selbstverwaltung vorzunehmen, die deren Entfunktionalisierung verstärkt. Im Verbändesystem kommt es zu einer Pluralisierung insofern, als Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände einem Fragmentierungsprozess unterliegen und zunehmend mit neuen Akteuren im Politikfeld konkurrieren müssen. Neben der Autonomisierung des Parteiensystems sind zwei Prozesse innerhalb der Sozialpolitik zu beobachten: ein Liberalisierungsprozess, der sich in der Einführung von Marktstrukturen ausdrückt, und ein Elitenwechsel von Berufssozialpolitikern zu Berufspolitikern, im Zuge dessen sich die dichten Beziehungsstrukturen zwischen Parteien und Verbänden in diesem Politikfeld auflösen. 5. Die Rückkehr der Politics: Die Dynamik von Parteienkonflikten In Abschnitt 4 über die Erschöpfung des Sozialstaats aufgrund von Problem- und Konfliktsequenzen wurde bereits darauf Bezug genommen, dass in den Neunzigerjahren der Sozialkonsens brüchig wurde, weil in den Parteien der Wirtschaftsflügel und in den Verbänden der industrielle Mittelstand an Einfluss gewannen. Anhand der zunehmenden Polarisierung der christlich-liberalen Koalition nach dem Ende der Wiedervereinigungsrunden und des Verfalls des Bündnisses für Arbeit unter Kohl sowie der Gründung und des Verlaufs des Bündnisses für Arbeit unter der Regierung Schröder wird im Folgenden nun beschrieben, wie sich die Konfl ikte zunehmend verstärkten (vgl. dazu auch Hassel/ Trampusch 2006). Mit der Erschöpfung des Sozialstaats wurde nicht nur das Band zwischen Christdemokraten und Gewerkschaften zerschnitten; unter der Regierung Schröder kam es auch zu einem Bruch mit den Sozialdemokraten. Der Verfall der christlich-liberalen Regierung und ihres Bündnisses für Arbeit Nachdem mit der Wiedervereinigung die tradierten Strukturen der Sozialpolitik auf die neuen Länder übertragen worden waren, häuften sich Mitte der Neunzigerjahre die sozialpolitischen Probleme Deutschlands. Die Sozialpolitik federte die sozialen Auswirkungen der raschen Wirtschafts- und Währungsunion ab. Infolgedessen stiegen das Sozialbudget zwischen 1990 und 1996 von 27,8 auf 32,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP)1 und die Sozialversicherungsbeiträge von 35,5 auf 41,1 Prozent (Tabelle 3). Die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt an die Rentenversicherung und die BA (inklusive Arbeitslosenhilfe), die im Jahr 1990 bei etwa 24,6 Milliarden Euro gelegen hatten, wuchsen bis 1996 auf 58,9 Milliarden Euro an (Streeck/Trampusch 2005: 178). Obwohl die Konsolidierung des Haushalts bereits 1993 mit dem Solidaritätspakt begonnen hatte und 1995 durch die Wiedereinführung des Solidaritätszuschlags weitergeführt wurde, stieg das Haushaltsdefizit auf neue Rekordhöhen und betrug 1996 40 Milliarden Euro (Zohlnhöfer 2005: 6). Die Lage war umso bedrohlicher, als spätestens 1997 der Bundeshaushalt den Maastricht-Kriterien genügen musste (Zohlnhöfer 2005: 6). In dieser fiskalpolitisch angespannten Lage bahnte sich innerhalb der Regierung ein Grundsatzkonflikt an, bei dem sich die Sozialpolitiker der Union auf der einen Seite und die Wirtschaftspolitiker der Koalition auf der anderen Seite unversöhnlich gegenüberstanden. Hatten sich in der Frage der Pflegeversicherung 1992 noch die Sozialpolitiker durchsetzen können, so siegten im Hinblick auf die Lohnfortzahlung 1996 die Wirtschaftsliberalen. Das Bündnis für Arbeit, das der Regierung im November 1995 vom IG-Metall-Vorsitzenden Klaus Zwickel angeboten wurde, blieb in dieser Auseinandersetzung "auf der Strecke". Die Konflikte innerhalb der Regierung, die sich durch Machtansprüche der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion und des Koalitionspartners FDP zuspitzten, überlagerten die Versuche einer ausgehandelten Sozialreform und machten ein koordiniertes Vorgehen der Regierung innerhalb des ersten Bündnisses letztlich unmöglich. Aus welchen Gründen und in welcher Form es zu diesen Zerfallserscheinungen kam, wird im Folgenden erläutert. Im Herbst 1994 fanden Bundestagswahlen statt, die die Regierung Kohl im Amt bestätigten. Was nun folgte, waren zwei Jahre intensiver sozialpolitischer Auseinandersetzung in einer Weise, die man bis dahin noch nicht erlebt hatte. Nachdem infolge der Rezession 1993 im Bundeswirtschaftsministerium, im Wirtschaftsflügel der Parteien und in den Wirtschaftsverbänden zunehmend die Einsicht gewachsen war, dass reformpolitisch Handlungsbedarf bestand, entbrannte die Standortdebatte von Neuem. Hatte Helmut Kohl in den Wiedervereinigungsrunden noch auf der Reformbremse gestanden, so geriet er nun zunehmend unter Druck, diese zu lösen, und der Reformprozess kam in Fahrt. In seiner Regierungserklärung im November 1994 kündigte Kohl eine Neuauflage der im September zuvor beendeten Kanzlerrunden an, die sich nun auf Gesamtdeutschland beziehen sollten. Er habe den "Spitzenvertretern" von Wirtschaft und Gewerkschaften "gemeinsame Gespräche" über "wichtige Zukunftsfragen " vorgeschlagen, und diese hätten positiv reagiert, weshalb er sie "sehr bald" zu diesen Gesprächen einladen werde. Als Ziel der Runden nannte er "die Schaffung zusätzlicher zukunftsfähiger Arbeitsplätze" (Plenarprotokoll, 5. Sitzung des Bundestages, 13. Wahlperiode, 23.11.1994, 42). Während die Gewerkschaften sich von den neuen Runden einen Beschäftigungspakt erhofften (DGB, Deutsche Presse-Agentur 23.2.1995) - jedoch sehr schnell merkten, dass diese dazu dienten, sie beim Sozialabbau dabei zu haben - forderte der ZDH bereits auf der ersten dieser Kanzlerrunden eine Senkung der Lohnnebenkosten ein (Deutscher Depeschendienst 25.1.1995). Zwischen dem 25. Januar 1995 und dem 23. April 1996 folgten nun neun neue Kanzlerrunden, die schließ…
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