

Beschreibung
Im Märchen gestaltet sich ein Kräftespiel zwischen Lebensanspruch und Glücksverlangen. Das Glücksverlangen siegt. Nicht als Illusion und nicht als moralische Prämie. Das Glücksverlangen siegt, weil die Gefahren, die drohen, und die Aussichten, die winken, eine...Im Märchen gestaltet sich ein Kräftespiel zwischen Lebensanspruch und Glücksverlangen. Das Glücksverlangen siegt. Nicht als Illusion und nicht als moralische Prämie. Das Glücksverlangen siegt, weil die Gefahren, die drohen, und die Aussichten, die winken, einer konsequenten Logik des Gelingens folgen. Diese Logik des Gelingens kennenzulernen, ist nicht nur für Märchenleser und Märchenerzähler aufschlussreich, sondern auch für Eltern, Erzieher, Berater und Psychotherapeuten, für Entwicklungspsychologen, Psychoanalytiker und Literaturwissenschaftler.
Was im Märchen zur Darstellung kommt, geht uns an, ob wir wollen oder nicht. Denn im Märchen gestaltet sich das Gegebene um in eine Welt-für-uns, wie sie sein sollte, wenn das unbedingte Verlangen nach Glück etwas zählen würde. Das geschieht nach strengen und einfachen Formprinzipien, die wir spontan befolgen, weil es für uns als Erzähler und Hörer und Leser eine Glücksprämie gibt: Unser Liebes- und Behauptungswille triumphiert, geradlinig und ungebrochen. Existentielle Grundthemen des Märchens nach dem Muster der Brüder Grimm sind: Aufbruch in die Fremde und die Sehnsucht, bei schützenden Eltern geborgen zu sein; männliches Kräftemessen und weibliche Autonomie; männliche Bemächtigungslust und weibliches Gemeinschaftsglück; das Glück geschwisterlicher Loyalität; der ungleiche Kampf der Geschlechter und die Freiheiten des Alters. Die Fähigkeit, Geschichten so zu erzählen, dass in symbolischer Verdichtung das Persönlichste zum Ausdruck kommt, wird in der Praxis der Märchenkommunikation erworben. Das zeigt der umfangreiche Bestand an Texten, die Schüler und Schülerinnen unterschiedlichen Alters in Ostdeutschland und der Schweiz geschrieben haben. Diese Texte wurden strukturanalytisch untersucht und erbrachten eindrucksvolle Befunde über die Art, wie Kinder und Jugendliche das Gegebene zur Welt-für-uns umgestalten. Wenn Kinder und Jugendliche Märchen schreiben, so ist für sie der Aufbruch in die Fremde, sei er freiwillig oder unfreiwillig, von absolut vorrangiger Bedeutung, bei den jüngeren und bei den älteren. Mädchen und Jungen gehen dabei unterschiedliche Wege. Jugendliche experimentieren mit der Form: Neben die Geschichte mit Happy End tritt die tragische Form, das Antimärchen, das den Helden vernichtet. Liebe und Erotik sind für Kinder und auch für Jugendliche keine zentralen Themen, und wenn, dann sind hier die Mädchen auf erfindungs- und symbolreiche Art kreativ.
Autorentext
Brigitte Boothe ist Psychoanalytikerin (DGPT, DPG), Psychotherapeutin (FSP) und Lehrstuhlinhaberin für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Psychoanalyse an der Universität Zürich. Wichtige Veröffentlichungen zur Psychoanalyse der frühen weiblichen Entwicklung und zu Modellen des Glücks in Märchentexten. Zurzeit beschäftigt sie sich vor allem mit den Bereichen Klinische Narrativik und qualitative Methoden, Literatur- und Textanalyse, Lebensrückblick- und Interviewforschung, Kooperations-,Vertrauensbildung und Kreditierung. Sie ist u.a. am Forschungsmodul des Schweizerischen Nationalfonds 'Körper und Geschlecht: Normierungsprozesse im Spannungsfeld von Heilung und Verletzung' (Pro Doc), verbunden mit dem Graduiertenkolleg Gender Scripts and Prescripts (Universitäten Basel - Bern - Zürich) beteiligt. Boothe ist Mitglied in diversen psychoanalytischen, psychotherapeutischen und internationalen wissenschaftlichen Vereinigungen: Society for Psychotherapy Research (SPR), Schweizerische Gesellschaft für Psychologie (SGP), Deutsche psychoanalytische Gesellschaft (DPG), Föderation Schweizerischer PsychologInnen (FSP), Europäische Föderation Psychoanalytischer Psychotherapie (EFPP). Veröffentlichungen u.a.: Boothe, B. (2006): Die Religionskritik Freuds und die Überschreitung des Gegebenen. In I. U. Dalferth & H.-P. Grosshans (Hrsg.): Kritik der Religion. Tübingen (Mohr/Siebeck), S.163-186. Boothe, B. (2006): Abraham, der Ausgezeichnete. Die Loyalitätsprobe. Handlung Kultur Interpretation. Zeitschrift für Sozial- und Kulturwissenschaften 15, 274-304. Luif, V./Thoma, G. & B. Boothe (Hrsg.) (2005): Beschreiben - Erschliessen - Erläutern. Psychotherapieforschung als qualitative Wissenschaft. Berlin (Pabst). Boothe, B. & P. Stoellger (Hrsg.) (2004): Moral als Gift oder Gabe? Zur Ambivalenz von Moral und Religion. 1. Band der wissenschaftlichen Buchreihe Interpretation Interdisziplinär, herausgegeben von Brigitte Boothe & Philipp Stoellger. Würzburg (Königshausen & Neumann). Boothe, B. & Ugolini, B. (Hrsg.) (2003): Lebenshorizont Alter. Zürich (vdf).
Inhalt
Inhalt Brigitte Boothe: Vorweg: Aufbruch in die Fremde Begegnung mit der Liebe Kristin Wardetzky: Eroberer und Königstöchter Lorenz Lunin: Der Weg in die Fremde der Weg nach Hause Claudia Galli und Catherine Paterson: Jugendliche Antimärchen Brigitte Boothe: Wie ist es, glücklich zu sein? Märchen zeigen, wie man in der Welt des Wunderbaren sein Glück macht Brigitte Boothe: Glück des Alters im Märchen Brigitte Boothe: Schlussbetrachtung: Der König und die Kluge
