

Beschreibung
Die demografische Entwicklung ist seit Langem Thema öffentlicher Debatten. Weitgehend unbemerkt geblieben sind jedoch die deutlichen regionalen Unterschiede der Geburtenraten in Deutschland. Sinkende Fertilität ist nicht überall zu beobachten, in manchen Regio...Die demografische Entwicklung ist seit Langem Thema öffentlicher Debatten. Weitgehend unbemerkt geblieben sind jedoch die deutlichen regionalen Unterschiede der Geburtenraten in Deutschland. Sinkende Fertilität ist nicht überall zu beobachten, in manchen Regionen ist sie sogar ähnlich hoch wie in den als besonders familienfreundlich geltenden Ländern Schweden und Frankreich. Barbara Fulda zeigt anhand
einer Fallstudie zweier Landkreise, weshalb die bisherigen Erklärungen die deutlichen regionalen Unterschiede nicht ausreichend dokumentieren: Historisch gewachsene kulturelle Normen von Elternschaft und Familie sind zu berücksichtigen.
»Erfreulich an diesem Buch ist, dass die räumliche Dimension in die Analyse aufgenommen wurde. Soziale Milieus finden statt in der näheren Umgebung, im Wohnumfeld der Akteure. Insofern ist die kleinräumige Betrachtung eine notwendige Voraussetzung für weiter gehende Erkenntnisse über solche Phänomene.« Hanjörg Bucher, socialnet.de, 20.07.2017
Autorentext
Barbara Fulda ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Chemnitz.
Leseprobe
Dank
Seit geraumer Zeit ist die Geburtenentwicklung Thema öffentlicher Debatten in Deutschland. In diesen Debatten geht es nicht nur um den Fakt der zunehmenden Alterung der Bevölkerung oder die Zukunft der Sozialsysteme. Verschiedenste politische und gesellschaftliche Lager ringen um Meinungshoheiten und die richtige Interpretation von Gründen und Folgen dieser Entwicklung. Die Familie ist längst keine Privatsache mehr. Rollenbilder von Frauen und Männern werden zunehmend hinterfragt und der Begriff der Familie steht zur Debatte. In diesen Diskussionen um die adäquate Interpretation der Hintergründe der niedrigen Geburtenzahlen überraschte mich eine Feststellung: In manchen deutschen Landkreisen ist die Geburtenzahl so hoch, wie man es nur von den geburtenstarken Ländern Schweden und Island kennt. Die Einordnung Deutschlands als Niedrigfertilitätsland schien zu wanken.
Je eingehender ich nach Antworten für dieses Phänomen suchte, umso mehr Fragen ergaben sich: Warum hat die kürzlich erfolgte Einführung eines erweiterten Anspruchs auf Kindertagesbetreuung oder des Elterngeldes nicht überall den erwarteten positiven Effekt oder wird in unterschiedlichem Ausmaß in Anspruch genommen? Warum werden in manchen Landkreisen mehr Kinder geboren, als man es anhand der Zahl der angebotenen Kindergartenplätze oder der regional guten wirtschaftlichen Lage vermuten könnte?
Unter den vielen Gründen für diese Ungereimtheiten wurde ich insbesondere aufmerksam auf einen Aspekt: regionalkulturelle Gegebenheiten. In der Literatur bestehen seit Längerem Vermutungen, dass die soziale Umgebung und damit auch das historische kulturelle Erbe eine entscheidende Rolle für die Höhe regionaler Geburtenzahlen spielt. Wie genau, war bislang jedoch ungeklärt, ebenso, wie dieser Einfluss mit den bekannten Faktoren, etwa dem Kinderbetreuungsangebot, interagiert. In meiner Dissertation habe ich mir deswegen die Aufgabe gestellt, diesen Vermutungen durch eine Kombination quantitativer Analysen, qualitativer Forschung, beispielsweise in Form von Interviews in verschiedenen sozialen Umgebungen, und durch das Studium regionalhistorischer Quellen nachzugehen.
Die Möglichkeit, diesen innovativen Weg gehen zu dürfen, verdanke ich ganz wesentlich der wissenschaftlichen Neugierde, Offenheit und Ermunterung meines Betreuers, Wolfgang Streeck, dem ich für seine konstruktiven Kom- mentare und die kritische Begleitung meiner Dissertation zu großem Dank verpflichtet bin. Diese Offenheit und Neugierde habe ich auch immer wieder durch Kollegen und Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung (MPIfG) erfahren dürfen. Die anregenden Diskussionen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlichster Fachrichtungen haben mir immer neue Einblicke gewährt und mich ermahnt, nicht zu vergessen, in welchem gesamtgesellschaftlichen Kontext die von mir beobachteten Entwicklungen geschehen. Ebenso bedanke ich mich herzlich bei meinem Zweitgutachter Karsten Hank, der stets ein offenes Ohr hatte und mir mit hilfreichen Kommentaren und aufmunternden Worten immer wieder zur Seite stand.
Mein herzlicher Dank für ihre stets guten Ideen, hilfreichen Kommentare und aufbauenden Worte gilt auch meinen Kollegen Timur Ergen, Lukas Haffert, Sebastian Kohl und Daniel Mertens, die zur selben Zeit ähnliche Herausforderungen beim Verfassen ihrer Dissertationen zu meistern hatten. Armin Schäfer danke ich für interessante Diskussionen, gute Ideen, konstruktive Kritik und emotionale Unterstützung. Sara Weckemann und Annina Assmann haben mir viele inhaltliche Anregungen gegeben und in produktiven Diskussionen neue Einsichten vermittelt. Sarah Berens hat mich immer wieder inhaltlich unterstützt und motiviert. Auch ihr gilt mein besonderer Dank. Zuletzt hat mir die unermüdliche Arbeit der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am MPIfG dabei geholfen, so manche Hürde leichter zu überwinden und einige Hürden nicht einmal bemerken zu müssen. Vielen herzlichen Dank!
Mein größter Dank gebührt Daniel Hargesheimer, der mich liebevoll durch alle Phasen dieser Dissertation begleitet hat, mit dem ich stets meine Fragen und Zweifel erörtern konnte und der mir immer unterstützend und aufmunternd zur Seite stand. Ihm und meiner Familie ist dieses Buch gewidmet.
Köln, im Januar 2016 Barbara Elisabeth Fulda
Kapitel 1 Einleitung
"Die Bevölkerungspyramide in der Bundesrepublik Deutschland steht auf dem Kopf" (Deutscher Bundestag 2002: 12). Den nationalen öffentlichen Diskurs in Deutschland über die Stabilität der sozialen Sicherungssysteme prägen wesentlich die seit Jahrzehnten sinkenden Geburtenraten, oft verbunden mit dem Hinweis auf die negativen Folgen für den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme (siehe Abbildung 1-1). Deutschland wird im Vergleich zu anderen westlichen Industrieländern wie Schweden oder Frankreich als Niedrigfertilitätsland betrachtet (zum Beispiel Bujard et al. 2012). Diese Einordnung hat auch die Forschung zum demografischen Wandel in den letzten Dekaden beeinflusst. Vor dem Hintergrund eines starken Geburtenrückgangs und einer steigenden Lebenserwartung in Deutschland konzentriert sich ein Großteil der Forschungsarbeiten auf den nationalen Kontext und länderübergreifende Vergleiche der Determinanten dieser Entwicklung.
Von der niedrigen nationalen Fertilitätsrate, die im Jahre 2012 bei 1,38 Kindern pro Frau lag,1 auf eine regional ebenso niedrige Fertilitätsrate zu schließen, leitet allerdings fehl: Hinter dem Durchschnittswert der deutschen Fertilitätsrate verbergen sich große regionale Unterschiede der Geburtenzahlen.2 Innerhalb beider Landesteile unterscheidet sich die Anzahl neu geborener Kinder regional deutlich: In Westdeutschland reichen die Unterschiede von 1,14 bis 1,8 Kindern pro Frau, während sie in Ostdeutschland von 1,26 bis 1,5 Kinder pro Frau reichen.3 Darüber hinaus unterscheiden sich Ost- und Westdeutschland hinsichtlich der verbreiteten Familienformen. Außerdem ist in Ostdeutschland, abgesehen vom globalen Trend der Anpassung des ostdeutschen an das westdeutsche Fertilitätsniveau, ab dem Zeitpunkt der Wiedervereinigung eine starke Dynamik des Fertilitätsverhaltens zu beobachten (Basten/Huinink/Klüsener 2011; Kopp 2002). Stark und Kohler (2005) weisen angesichts dieser Unterschiede darauf hin, dass die Fertilitätsrate das aggregierte Ergebnis regional heterogenen Fertilitätsverhaltens darstellt, dessen Unterschiede angesichts der prominenten Besprechung der niedrigen nationalen allgemeinen Fertilitätsrate in der öffentlichen Berichterstattung in den Hintergrund treten. Über das tatsächliche generative Verhalten der Bevölkerung könne jedoch nur eine Untersuchung regionaler Muster der Familienbildung Auskunft geben. Aufgrund der regionalen Diversität der Geburtenraten in Deutschland spricht die Akademie fü…
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