

Beschreibung
Draufgängerinnen, Ausreißerinnen und Abenteurerinnen: Eine leichtfüßige feministische Kulturgeschichte von Frauen, die sich auf den Weg gemacht haben. Es ist kein Zufall, dass Caspar David Friedrichs berühmtes Bild Der Wanderer über dem Nebelmeer einen Mann ze...Draufgängerinnen, Ausreißerinnen und Abenteurerinnen: Eine leichtfüßige feministische Kulturgeschichte von Frauen, die sich auf den Weg gemacht haben.
Es ist kein Zufall, dass Caspar David Friedrichs berühmtes Bild Der Wanderer über dem Nebelmeer einen Mann zeigt: Der Naturraum wird hier als Männerdomäne markiert. Frauen spielten als historische und literarische Wanderinnen selten eine Rolle. Anneke Lubkowitz, selbst von der Stubenhockerin zur Ausflüglerin geworden, hat sich aufgemacht, ihre Vorgängerinnen aufzuspüren und zu würdigen. Sie nimmt uns mit auf eine Entdeckungsreise voller überraschender Geschichten. Auf ihren Touren begegnet sie: Sophie von La Roche, Bettina Brentano, Karoline von Günderrode, Mary Shelley, Annette von Droste-Hülshoff, Mathilde Franziska Anneke, Emmy Hennings, Else Lasker-Schüler, Simone de Beauvoir, Annemarie Schwarzenbach und Octavia E. Butler. Anhand dieser Frauen zeigt sich, dass Wandern sehr viel mehr ist als das Erobern von Landschaften. Es geht vor allem um Autonomie und Freiheit und den weiblichen Blick auf die Natur.
»Rebellinnen zu Fuß ist eine leichtfüßige Kulturgeschichte über mutige Frauen, die von gewohnten Pfaden abgewichen sind.« ARTE Journal, 11.08.2025
Autorentext
Anneke Lubkowitz, 1990 geboren, hat in Berlin und Edinburgh Literaturwissenschaften studiert und über Nature Writing promoviert. 2020 erschien die von ihr herausgegebene Anthologie Psychogeografie. Als begeisterte Wanderin hat sie verschiedene Texte über Streifzüge durch Berlin veröffentlicht, und auch die Umgebung von Münster, wo sie inzwischen lebt, erkundet sie am liebsten zu Fuß.
Leseprobe
AUF DEN EIGENEN FÜSSEN
SOPHIE VON LA ROCHE
Wenn ich das Wort »wandern« höre, habe ich immer eine bestimmte Szene vor Augen: eine Figur in dunkler Jacke auf den schroffen Felsen eines Gipfels, man sieht nur ihren Rücken, blickt auf gewaltige Nebelschwaden; sie scheint über den Wolken zu schweben, voller Ehrfurcht und Staunen über die Kräfte der Natur aber auch über ihre eigenen, die sie auf diesen Berg getragen haben. Das Bild, das ich meine, hängt in keiner Galerie, es war lange Zeit auf meinem privaten Facebook-Profil zu finden, und es zeigt mich auf einer mehrtägigen Wanderung durch die schottischen Highlands. Die Stunde, bevor dieses Foto gemacht wurde, hatte ich damit verbracht, aus dem Tal von Glencoe, wo ich in einem durchnässten Zelt übernachtet hatte, in die umliegenden Berge hinaufzusteigen. Der Aufstieg trägt den Namen Devil's Staircase . Es handelt sich aber nicht wirklich um eine Treppe, sondern um einen schmalen Geröllpfad, der sich in atemberaubendem Zickzack zwischen den glatten Felsen emporwindet. Als ich oben angekommen war, gab es keinen Fetzen Stoff mehr an mir, der nicht schweißdurchtränkt war. Der Ausblick machte alles vergessen. Eine einmalige Erfahrung, festgehalten in einem Foto, das ein Bekannter mit den Worten »Wanderin über dem Nebelmeer« kommentierte.
Ich weiß nicht mehr, ob ich damals in den Highlands, während ich darauf wartete, dass meine Beine zu zittern und das Blut durch meinen Kopf zu pumpen aufhörten, auch an Caspar David Friedrich und sein berühmtes Gemälde dachte. Es würde mich wundern, wenn ich überhaupt in der Lage gewesen wäre, einen klaren Gedanken zu fassen. Vor allem spürte ich in diesem Moment die Stärke des Berges in mir, empfand Demut und realisierte, dass mein Körper genau für diese Art von Verausgabung gemacht war. Das war eine neue Erfahrung für mich. Obwohl ich auf dem Land aufgewachsen war, nahm meine Karriere als Stubenhockerin schon früh ihren Lauf. Irgendwann zwischen Grundschule und Gymnasium, ungefähr in der Zeit, als ich aufhörte, reiten zu gehen, vollzog sich meine Metamorphose zum Buch-Nerd. Ich verschanzte mich mit der monatlichen Ration Lesestoff aus der Bibliothek in meinem Zimmer und bekam nicht mehr allzu viel mit von der Welt draußen. Meine Teenagerzeit hindurch empfand ich jegliche Form körperlicher Anstrengung als Zumutung und verließ die wohltemperierte elterliche Wohnung im Mehrfamilienhaus nur, wenn es unbedingt notwendig war. Als ich mit achtzehn aus der Provinz nach Berlin zog, um in meinem Literaturstudium endlich all die Bücher lesen zu können, die es in unserer kleinen Kreisbibliothek nicht gab, fiel es mir nicht schwer, in das klassische Großstadtleben einzutauchen. Wie gewohnt verbrachte ich den Großteil meiner Zeit in geschlossenen Räumen, in der WG, im Hörsaal, im Büro; in der Freizeit kamen immerhin Cafés, Literaturkneipen und Clubs hinzu, und manchmal ging ich sogar im Park joggen. Wege legte ich in der Regel mit U- und S-Bahn zurück. Der einzige Unterschied zu meinen Großstadtbekannten war, dass ich zu ihrer Verwunderung Strecken zu Fuß ging, für die sie den Bus nahmen. Die Idee, mir Wanderstiefel anzuziehen, in die Berge zu fahren und bei jedem Wetter auf einer Isomatte in einem winzigen Zelt zu schlafen, lag weit außerhalb meiner Vorstellung, allein schon, weil ich es mir körperlich nie zugetraut hätte. Erst als ich anfing, für meine Doktorarbeit über Naturerfahrungen in der britischen Literatur zu forschen, ein Thema, zu dem mich über Umwege mein Auslandssemester in Edinburgh gebracht hatte, wurde mir klar, dass ich das, worüber ich die ganze Zeit las, eigentlich selbst tun wollte. Schließlich hatte ich schon früher alle Erzählungen geliebt, in denen Leute auf Wanderschaft gingen: Den Hobbit verschlang ich ebenso wie die Bücher von Hermann Hesse, und sogar bei Goethes und Eichendorffs Naturlyrik geriet ich in Entzücken. Auch von Caspar David Friedrichs Landschaften mit ihren einsamen Männlein konnte ich eine Zeit lang nicht genug bekommen.
»Männlein« sagt schon alles: Heute, nachdem mein unermüdlicher Lesehunger mich auch mit feministischer Literatur in Berührung gebracht hat, frage ich mich, ob es wirklich allein an meiner fehlenden körperlichen Robustheit, meiner Persönlichkeit oder der familiären Prägung lag, dass ich nicht früher auf die Idee gekommen bin, wandern zu gehen. Ich befürchte, mir fehlten auch die weiblichen Vorbilder. Es machte eben doch einen Unterschied, dass das berühmteste Wandergemälde einen Mann zeigt. Zwar konnte ich mich beim Lesen problemlos in den jeweiligen Wanderer hineinversetzen, doch fehlte es mir offenbar an Vorstellungsvermögen, daraus zu schlussfolgern, auch als Frau das Gelesene ja in die Tat umsetzen zu können. Die Natur, lernte ich aus den Büchern, die ich las, und den Bildern, die ich in Katalogen oder auf Werbeplakaten sah, war ein Ort für Männer, die wahlweise mit Gehrock und Wanderstab auf Bergen oder mit Cowboyhut und Emaille-Tassen am Lagerfeuer posierten. Es war also höchste Zeit, dass ich mir meine eigene Emaille-Tasse kaufte, einen Wanderführer für den West Highland Way von Glasgow nach Fort William besorgte und mir von einer Freundin, die drei Wochen durch den Himalaja gelaufen war, das Packen von Trekkingrucksäcken erklären ließ. Ein Busticket nach Schottland, 170 Wanderkilometer und zahlreiche Blasenpflaster später war mir das Wandern buchstäblich in Fleisch und Blut übergegangen. Seitdem konnte ich nicht mehr damit aufhören.
Fünf Jahre danach, kurz nach meinem dreißigsten Geburtstag, fand ich mich von einem Tag auf den anderen in einem Zustand vollkommener Orientierungslosigkeit wieder. Meine literaturwissenschaftliche Doktorarbeit, die mich die zweite Hälfte meiner Zwanziger hindurch beschäftigt und enorme Kraft gekostet hatte, war verteidigt und auf dem Weg der Veröffentlichung. Und meine Zeit in der Wissenschaft damit endgültig vorbei. Die Welt der Hörsäle und Bibliotheken hatte mir eine Weile Sicherheit gegeben, mich mit ihren Arbeitsbedingungen aber zunehmend erschöpft. Zwischen der Abgabe der Doktorarbeit und ihrer Verteidigung war ich in meinen ersten Job in der »echten« Arbeitswelt gestartet und, wie ich meinte, prompt an den Überbleibseln meiner akademischen Verkopftheit gescheitert. Wie eine Person, die zielstrebig in ein anderes Zimmer geht und dabei v…
