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Die Schneiderin Anna Z. verfasste 1916 in der Pflegeanstalt Rheinau eine packende Lebensbeschreibung. Diese gewährt Einblicke in das unstete Leben einer Frau, die versuchte, berufliche Passion, Unabhängigkeit und Heirat, Liebe, Sexualität und Mutterschaft zu vereinen. Der Bericht gibt zudem Aufschluss über das komplexe Konstrukt 'Wahrheit' im Leben einer Anstaltspatientin, einer Insassin des 'Irrenhauses'. Anna Z. (18641938) war das elfte von sechzehn Geschwistern. Ihre Mutter starb, als sie klein war, und von da an sorgte die älteste Schwester Berta für die Geschwisterschar. In der Schule fiel Anna Z. durch ihre Wildheit auf und wurde deshalb für vier Jahre in ein Erziehungsheim gesteckt. Sie absolvierte eine Schneiderinnenlehre und heiratete jung einen wohlhabenden Bauern. In der neuen Umgebung fiel sie auf, weil sie oft allein mit Pferd und Wagen unterwegs war. Wegen eines Scheckbetrugs wurde Anna Z. verhaftet; danach fühlte sie sich verändert, reiste 'planlos' umher und quartierte sich in Hotels ein unter falschem Namen. Ihre erneute Verhaftung führte 1904 zur Einweisung in die psychiatrische Klinik Burghölzli, von wo sie nach einem Jahr als 'unheilbar' in die Pflegeanstalt Rheinau 'spediert' wurde. Hier verfasste Anna Z. in den Jahren 1915/16 ihre packende Lebensbeschreibung. In der Anstalt verlebte sie, wenn sie zur Strafe isoliert oder zu den 'unruhigen' Frauen verlegt wurde, schlimme Zeiten. Wenn sie jedoch ein eigenes Zimmer hatte und für die Anstaltsschneiderei und auf eigene Rechnung für die Wärterinnen nähen konnte, fühlte sie sich nicht unwohl. Dennoch blieb es stets ihr Ziel, wieder ein selbständiges Leben zu führen. Mehrmals verbrachte sie kurze oder längere Zeit bei ihrer Schwester in 'Familienpflege', wo sie als Störschneiderin arbeitete. Dabei wurden ihr einmal ein Zirkusbesuch, ein andermal ihre Verlobung mit einem Mitarbeiter der Anstalt zum Verhängnis.
Autorentext
Kunsthistorikerin. Forschungsgebiet Kunst und Psychologie um 1900. SNF-Projekt 'Bewahren besonderer Kulturgüter': Inventar der Werke in psychiatrischen Kliniken der Schweiz 18501930. Kuratorin der Sammlung der ehemaligen Pflegeanstalt Rheinau.
Klappentext
Die Schneiderin Anna Z. verfasste 1916 in der Pflegeanstalt Rheinau eine packende Lebensbeschreibung. Diese gewährt Einblicke in das unstete Leben einer Frau, die versuchte, berufliche Passion, Unabhängigkeit und Heirat, Liebe, Sexualität und Mutterschaft zu vereinen. Der Bericht gibt zudem Aufschluss über das komplexe Konstrukt «Wahrheit» im Leben einer Anstaltspatientin, einer Insassin des «Irrenhauses». Anna Z. (1864-1938) war das elfte von sechzehn Geschwistern. Ihre Mutter starb, als sie klein war, und von da an sorgte die älteste Schwester Berta für die Geschwisterschar. In der Schule fiel Anna Z. durch ihre Wildheit auf und wurde deshalb für vier Jahre in ein Erziehungsheim gesteckt. Sie absolvierte eine Schneiderinnenlehre und heiratete jung einen wohlhabenden Bauern. In der neuen Umgebung fiel sie auf, weil sie oft allein mit Pferd und Wagen unterwegs war. Wegen eines Scheckbetrugs wurde Anna Z. verhaftet; danach fühlte sie sich verändert, reiste «planlos» umher und quartierte sich in Hotels ein - unter falschem Namen. Ihre erneute Verhaftung führte 1904 zur Einweisung in die psychiatrische Klinik Burghölzli, von wo sie nach einem Jahr als «unheilbar» in die Pflegeanstalt Rheinau «spediert» wurde. Hier verfasste Anna Z. in den Jahren 1915/16 ihre packende Lebensbeschreibung. In der Anstalt verlebte sie, wenn sie zur Strafe isoliert oder zu den «unruhigen» Frauen verlegt wurde, schlimme Zeiten. Wenn sie jedoch ein eigenes Zimmer hatte und für die Anstaltsschneiderei - und auf eigene Rechnung für die Wärterinnen - nähen konnte, fühlte sie sich nicht unwohl. Dennoch blieb es stets ihr Ziel, wieder ein selbständiges Leben zu führen. Mehrmals verbrachte sie kurze oder längere Zeit bei ihrer Schwester in «Familienpflege», wo sie als Störschneiderin arbeitete. Dabei wurden ihr einmal ein Zirkusbesuch, ein andermal ihre Verlobung mit einem Mitarbeiter der Anstalt zum Verhängnis.
Leseprobe
Kindheit 'Ich war immer ein sehr lebhaftes Kind, und brauchte viel Geduld, die meine energische Schwester in ihrem jugendlichen Alter begreiflich nicht besass. Und allzu grosse Strenge durfte diese bei mir nicht anwenden, denn ich war des Vaters erklärter Liebling. Er war zu nachsichtig mit meinen Fehlern; so dass ich in meinem Eigensinn nicht mehr zu bändigen war. Mein Lehrer beklagte sich öfters bei meinem Vater, dass ich gegen meine Schulkameradinnen so gewalttätig sei. Alle diese Klagen bewogen meinen Vater, mich in eine Erziehungsanstalt zu versorgen. Ich erinnere mich noch ganz genau wie traurig mein Vater war auf der Reise von Männedorf nach Wangen. Ich kam nämlich in die appenzellerische Mädchenanstalt (wo meistens elternlose, oder dann ungeratene Kinder darin versorgt werden!).' Berufsleben 'Die halben Nächte schneiderte ich mit einem Eifer, als müsste ich eine ganze Familie erhalten, es war ein übertriebener Arbeitseifer. Ich hätte lieber nicht gegessen, als nicht auf meinem Beruf gearbeitet, so gern lag ich demselben ob. Hatte ich zuviel Arbeit, engagierte ich mir eine Arbeiterin, doch es konnte mir keine die Sache recht machen. Kam ich abends heim aus dem Kundenhaus, und war die Arbeit nicht genau nach meinem Kopf, riss ich in nervöser Hast alles wieder auf, und machte es wieder anders! Wie oft ist mein Mann mitten in der Nacht aufgestanden, mir das Licht ausgedreht, mich gebeten, mich doch zu schonen, daher sei ich so gereizt und wirklich unausstehlich, dass ich mich so unnütz um die Nachtruhe bringe. Oft legte ich mich nieder, bis mein Albert wieder schnarchte, und ich schlich wieder zur Maschine; riegelte einfach die Verbindungstür ab im Fall eines erneuten Erwachens meines Mannes vorschützend!' Verlegung in die Pflegeanstalt 'Nach gut 2 Jahren wurde ich alsdann als völlig unheilbar erklärt und nach Rheinau a. Zürich spediert, wo nur die vollständig unheilbaren hinkommen. Erst jetzt ging mein geistiges Elend so recht an, erst jetzt wusste ich, was es heisst, von den Eigenen verstossen, verachtet, von einem lieben Mann getrennt, der jede Laune, jeden Wunsch seines eigensinnigen Weibes respektierte und befolgte. Erst jetzt wusste ich so recht was es heisst, keine Heimat mehr zu haben; auf fremde, herzlose Menschen angewiesen zu sein. Mein Transport nach Rheinau in einem Kranken-Eisenbahnwagen mit vergitterten Fenstern und angeschnalltem Bett geschah am 26. September 1906. Zwei handfeste Wärterinnen, und noch eine Patientin die mit Stimmen belästigt, waren meine Begleitung.'
Inhalt
l. HeftKindheit und SchneiderinnenlehreEhejahre und ein BetrugIn UntersuchungshaftDie Auswirkungen der HaftIm Burghölzli Tod des VatersIn der Pflegeanstalt Rheinau2. HeftIn FamilienpflegeEin folgenreicher ZirkusbesuchFlucht aus der FamilienpflegeZweiter Aufenthalt in RheinauErneut in Familienpflege VerlobungZweite Flucht aus der FamilienpflegeZum dritten Mal in Rheinau, Flucht und Verhaftung3. HeftWieder in Rheinau