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Stollwercks Schokolade erobert die Welt
Das Kölner Familienunternehmen Stollwerck war über viele Jahrzehnte das mächtigste europäische Schokoladeimperium und eines der größten Süßwarenunternehmen der USA. Mit seinen beiden Hauptprodukten, Schokolade und Automaten, war es eingebunden in den Prozess der Globalisierung. Am Beispiel Stollwerck zeigt Angelika Epple von der Gründung 1839 bis zur Übernahme durch die Deutsche Bank 1932 , wie und von wem der vermeintlich anonyme Prozess der Globalisierung vorangetrieben wurde. In mikrohistorischer Perspektive werden einzelne Akteure sichtbar von der Unternehmensführung bis zum Außendienst. In globaler Perspektive wird deutlich, wie Produkte, Konsumgewohnheiten und Geschäftsmethoden weltweit standardisiert und gleichzeitig kolonial geprägt wurden. Zugleich ging die Standardisierung mit der Schaffung neuer kultureller Unterschiede und Zuschreibungen einher. Die Studie vermittelt tiefe Einblicke in das Wechselverhältnis von globaler Homogenisierung und Differenzierung. Zugleich leistet sie einen empirischen Beitrag zu der Diskussion, wie globale mit lokalen Studien verbunden werden können.
Autorentext
Angelika Epple ist Professorin für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung des 19. und 20. Jahrhunderts an der Universität Bielefeld. 2023 wurde sie Rektorin der Universität Bielefeld.
Leseprobe
Stollwerck Gold beherrscht die Welt - mit diesem Slogan bewarb vor mehr als 100 Jahren die Gebr. Stollwerck AG (GSAG) ihr neues Erfolgsprodukt: die Gold-Schokolade (vgl. Abb. I). Der weltweite Vertrieb der zart schmelzenden Neukreation hatte erheblichen Anteil an dem beispiellosen Erfolg der GSAG in Europa und den USA vor dem Ersten Weltkrieg. International musste jedoch anders geworben werden. Hier pries zum Beispiel ein blondgelocktes Mädchen das Produkt unter dem Namen "gold-brand" (Abb. III) an. Neutral hieß es in der Anzeige: "Try and Enjoy". Der Werbespruch "Stollwerck Gold beherrscht die Welt" zielte in Zeiten des zunehmenden Nationalismus nur auf den deutschen Markt. Der symbolisierte Globus im Markenzeichen der Gold-Schokolade (vgl. Abb. IV) dagegen brachte den Anspruch auf Weltmarktführung auch im Ausland zum Ausdruck und zeichnete seit der Einführung der "Weltmarke" 1909 Stollwerck'sche Gold-Schokolade international aus. Denken wir heute an Schokolade, verbinden wir sie nicht mit Nationalismus und Weltherrschaftsansprüchen. Wir denken eher an Kinderüberraschungen, an lila Kühe und eine Extraportion Milch. Diese Bilder fangen freilich nicht den tatsächlichen Konsum von Schokolade ein, sondern sind Folge einer Werbemaschinerie, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aufgebaut wurde und den Konsum von Waren mit wechselnden Bedeutungen auflud. Betrachtet man statt der Werbebilder die Geschichte der Schokolade, so war und ist sie nicht mit Kinderüberraschungen und bunten Tieren assoziiert. Die Geschichte der Schokolade ist untrennbar mit den Schattenseiten der Globalisierung verbunden, mit Sklaven- und anderen Formen der Zwangsarbeit, mit Krieg und Konkurrenzkampf, mit wirtschaftlicher Expansion und Lobbyismus. Die Geschichte des anhaltend erfolgreichen Konsumprodukts wurde bis 1932 wesentlich von einem Kölner Familienunternehmen bestimmt: der Gebr. Stollwerck OHG, der späteren GSAG. Die GSAG war über viele Jahrzehnte das größte europäische Schokoladenimperium, nahm auf dem amerikanischen Markt bis 1916 die zweite Stelle ein und beanspruchte selbst, "größte Schokoladen-, Kakao- und Zucker-Firma der Welt" zu sein. Mit der Entwicklung von Automaten betrat sie Neuland im Vertrieb und stieß Entwicklungen der Unterhaltungsindustrie (Foto, Film, Spielautomaten) und des modernen Fast Food (Automatenrestaurants) an. Sie war eines der wenigen deutschen "Weltgeschäfte", die bereits vor dem Ersten Weltkrieg einen weltweiten Vertrieb aufbauten und in zahlreichen europäischen Ländern und den USA produzierten. 1932 endete die Geschichte des Familienunternehmens Gebr. Stollwerck, als mit Carl, Fritz und Franz Stollwerck die letzten Familienmitglieder aus dem Vorstand ausschieden und unter der Leitung von Karl Kimmich und der Deutschen Bank die Aktien weit gestreut wurden. Die Stollwerck AG, die spätere Stollwerck-Imhoff AG, blieb bis 2002 als Einheit erhalten, bis die Stollwerck-Gruppe in der Barry Callebaut AG aufging. Mit dem neuen Jahrtausend hat der ehemalige global player die Bühne als eigenständiges Unternehmen endgültig verlassen. Die Geschichte des Familienunternehmens umfasst von seiner Gründung 1839 bis zu seinem Ende 1932 knapp 100 Jahre. Dieser Geschichte geht die vorliegende Studie nach. Sie hat dabei ein besonderes Anliegen: Sie verbindet die außergewöhnliche Unternehmensgeschichte der Gebr. Stollwerck OHG/AG mit einer Geschichte der Globalisierung. Was aber ist "Globalisierung"? Der Begriff ist in Forschung und Feuilleton gleichermaßen umstritten. Trotz aller Unterschiede war den Definitionen bis vor wenigen Jahren gemein, dass sie Globalisierung als anonymen, übergeordneten Prozess fassten, der die Welt immer näher zusammenrücken und zugleich homogener werden ließ. Die Geschichte der Globalisierung wurde daher als internationale Wirtschafts- und Institutionen- oder klassische Politikgeschichte geschrieben. Seit den späten 1990er Jahren werden andere Stimmen in der Diskussion laut. Sie betonen, dass Globalisierung kein eindimensionaler Homogenisierungsprozess ist, sondern dass globale Entwicklungen stets auf unterschiedliche lokale Voraussetzungen treffen. Lokales muss mit Globalem verbunden werden und umgekehrt, Globales wird lokal angeeignet. Für die Geschichtsschreibung ist diese Kehrtwende ein Glücksfall. Sie ermöglicht es nämlich, die Geschichte der Globalisierung empirisch zu erforschen und dabei handelnde Personen in den Blick zu bekommen. Daher integriert die vorliegende Unternehmens- und Globalisierungsgeschichte in zentralen Kapiteln eine mikrogeschichtliche Methodik, um den übergeordneten Prozess der Globalisierung mit Akteuren in Beziehung zu setzen. Globalisierung wird dabei als dialektische Entwicklung verstanden: Sie umfasst Prozesse der Homogenisierung, mit deren Hilfe weltweite Kommunikation, Handel und Austausch erleichtert oder allererst ermöglicht werden sollen. Rohstoffe wie Kakao zum Beispiel müssen standardisiert sein, wenn sie auf dem Weltmarkt gehandelt werden sollen. Die weltweiten Homogenisierungsprozesse erfassen jedoch nicht nur die globale Wirtschaft. Sie erfassen auch alltägliche Praktiken, wie zum Beispiel das Essen in Schnellrestaurants oder das Kaufen von Schokolade am Automaten. Erst wenn Konsumenten das Bedürfnis und die Erwartung entwickelt haben, dass sie für einen festgelegten Preis ein immer gleiches, wiederholbares Geschmackserlebnis erwerben können, kann modernes Fast Food seinen Siegeszug antreten.
Inhalt
Inhalt 1. Geschichte eines Kölner "Weltgeschäfts": Gebr. Stollwerck OHG/AG 1.1. Globale Wirtschaft - lokale Kultur? Homogenisierung und Heterogenisierung in Zeiten der Globalisierung 1.2. Unternehmensgeschichte als Mikrogeschichte der Globalisierung 1.3. Schokolade, Automaten, Internationalisierung: Gang der Untersuchung, Felder der Forschung 1.4. Empirische Basis der Studie 2. Globalisierung von ihrer Schokoladenseite: Verinnerlichter Imperialismus 2.1. Gebr. Stollwerck (1839-1885): Modernste Schokoladenfabrik Europas 2.2. Globale Warengeschichte: Das Zusammenspiel dreier Kontinente 2.3. Industrieller Imperialismus: Lebensmittelchemiker und die umstrittene Qualität der Schokolade in Europa und den USA 2.4. Marketingstrategien in Großbritannien und Deutschland 2.5. Akteure der Globalisierung eines Produkts: Lebensmittelchemiker und (andere) Lobbyisten 3. Die Automatisierung der Welt: Vertriebspraktiken und ihre Aneignungen 3.1. Gebr. Stollwerck (1885-1902): Waren-, Leistungsautomaten und Automatengesellschaften als "Lern-AGs&quo…