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«Tell» ist natürlich ganz direkt von den Isländersagas inspiriert

Joachim B. Schmidt verrät im Interview, wieso er sich entschieden hat, die klassische Schweizer Saga rund um Wilhelm Tell in seinem neuen Buch «Tell» als spannender Thriller herauszubringen. Des Weiteren erzählt uns der Autor, inwiefern sich die Schweiz von Island unterscheidet.

Joachim B. Schmidt hautnah

Interviewt von Ex Libris

Joachim B. Schmidt Portrait
Bild: © Eva Schram / Diogenes Verlag

Lieber Herr Schmidt, im Zentrum Ihres neuen Romans «Tell» steht nicht einfach irgendeine Schweizer Figur, sondern der legendäre Wilhelm Tell. Warum haben Sie sich gerade diese Person ausgesucht?
Sie meinen, welcher Teufel hat mich da geritten? Ich frage mich das nämlich auch manchmal. Ich schreibe eben Bücher, die ich selber gerne lesen würde. Und die Tell-Geschichte hat mich seit jeher fasziniert, aber all die verschiedenen Versionen und Produktionen, von Schiller über Frisch, in Theater und Film, fand ich immer etwas unbefriedigend. In ihnen geht es oft um Politik, Freiheitskampf und Patriotismus. Manchmal wird das auch demontiert oder sogar verulkt. Ich sah in Wilhelm Tell einen verzweifelten Vater, einen widerwilligen Helden. Das wollte ich in «Tell» rüberbringen.

«Tell» wird auch als Blockbuster in Buchform bezeichnet. Wie kamen Sie auf die Idee, Elemente aus der klassischen Schweizer Saga zu nehmen und daraus einen spannenden Thriller zu schreiben?
Tell wird in die Ecke gedrängt, er und seine Familie werden auseinandergerissen und mit dem Tod bedroht, aber Tell entwischt und schwört Rache, es kommt zum Hinterhalt, zum Showdown. Wenn das mal kein Thriller ist! Er steckt seit jeher in dieser Saga, ich musste nur den politischen Ballast entfernen.

Was war die grösste Herausforderung beim Schreiben dieses Romans?
Ich schrieb die Geschichte aus ganz vielen Perspektiven, damit ein ganzheitliches, realistisches Bild entstand. Die Leser*innen sollen in die bergige Gedankenwelt der verschiedenen Personen blicken können, in deren Ab- und Beweggründe. Die schwierigste dieser Personen war Wilhelm Tell selbst. Darum kommt er auch erst zum Schluss zu Wort. Es war einfacher, ihn durch die Augen der anderen zu beschreiben. Vielleicht brauchte ich einfach einen gewissen Abstand zu ihm, denn der Arme hat es nicht einfach.

Schreiben Sie lieber Kurzgeschichten oder Romane – und warum?
Romane. Ich liebe es, in eine Welt so richtig einzutauchen und mit den Leuten so viel Zeit zu verbringen, bis sie ein Eigenleben entwickeln und ich die Kontrolle über sie verliere, sich die Szenen und Dialoge fast von allein schreiben. Als es mir endlich gelang, in Tells Gedankenwelt einzudringen, habe ich echt geheult. Kurzgeschichten sind darum schwieriger. Man hat diese Zeit einfach nicht und muss möglichst schnell zur Sache kommen. Das erfordert grosses Geschick.

Gibt es noch andere historische Personen und Sagen, die Sie faszinieren?
«Tell» ist natürlich ganz direkt von den Isländersagas inspiriert. Auf der Vulkaninsel im Nordatlantik sind diese Sagas, rund 800-jährige Manuskripte, die das Geschehen auf Island ums Jahr 1000 beschreiben, ein unschätzbar kostbarer Schatz. Die faszinieren mich. Sie sind ein Fenster in die Vergangenheit, beschreiben das gesellschaftliche und politische Leben damals, aber auch die gescheiterte Landnahme Nordamerikas oder die Nordische Mythologie. Ohne die Isländersagas gäbe es nur halb so viele Marvel-Filme. In Island ist man grausam stolz auf diesen Schatz an Geschichten, und das steckt an, inspiriert. Wahrscheinlich fand ich wegen den Isländern den Mut, unsere tolle Schweizer-Saga aufleben zu lassen.

Sie sind in Graubünden aufgewachsen, leben inzwischen aber schon seit 15 Jahren in Island. Was verbindet Sie mit dem nordischen Inselstaat?
Ich habe mich schon als 16-Jähriger in die Insel verliebt, als ich sie mit meinem Gotti besuchte. Seither hat mich Island nie wieder losgelassen. So bin ich nach und nach zurückgekehrt und immer ein wenig länger geblieben, ausgewandert, und jetzt habe ich zwei Staatsbürgerschaften. Letztendlich habe ich da auch meine Frau gefunden, wir haben zwei Kinder und leben in Reykjavik. Sie sehen, die Gründe häufen sich.

Inwiefern unterscheidet sich die Schweiz von Island?
Unmöglich, diese Frage so auf die Schnelle zu beantworten, da müsste ich eigentlich ein ganzes Buch schreiben! Aber um ein paar Stichworte zu nennen: Die Schweiz ist konservativer, dafür multikultureller. Island hat die bessere Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, zudem eine ordentliche Elternschaftszeit, ist aber auch korrupter und wirtschaftlich instabiler. Island hat keine Armee und keine Direkte Demokratie, keine Bahn und keine McDonalds. Die Isländerinnen sind stark in Eurovision, aber Banausen in Wintersportarten. Es gibt also Vorteile und Nachteile hüben wie drüben. Was mich aber immer wieder erstaunt: Wie ähnlich sich die Schweiz und Island manchmal sind: Zwei sture Inselvölkchen im grossen Europa. Beide haben eine Bauernseele, konsumieren zu viele Milch- und Fleischprodukte und zu viel Süsses. So gesehen fühle ich mich in Island also wie daheim.

Was können Schweizerinnen vielleicht noch von Isländerinnen lernen – und umgekehrt?
Oh Gott, da gäbe es so vieles! Aber ist es denn nicht schön, dass niemand vollkommen ist? Wir Autoren und Journalisten würden noch unseren Job verlieren, wenn voneinander etwas lernen würden. Es lebe das Fehlverhalten!

Ihr letzter Roman «Kalmann», der sich um den titelgebenden Haifischjäger dreht, spielt auf Island und macht Lust, die Insel selbst zu erkunden. Wie kamen Sie auf die speziellen Orte, die im Roman vorkommen?
Ich mag spezielle Kulissen. So gesehen gleichen sich «Kalmann» und «Tell», weil sie beide in sehr abgeschiedenen Gegenden spielen. In beiden Geschichten leben die Protagonisten in ihrer eigenen Welt, fernab der Massen, umgeben von Natur. Ich suche immer ganz aufmerksam nach diesen Orten, und ich will dann auch da hin. Dass ich jetzt Raufarhöfn, aber auch das Isental besser kenne, ist eine Bereicherung. Die Hoffnung ist, dass die Leser*innen das auch so empfinden.

Was sollte man als Touristin in Island auf jeden Fall erlebt oder gesehen haben?
Soll ich jetzt auch noch einen Reiseführer schreiben? Das Schöne an Island-Ferien ist, dass man eigentlich nichts falsch machen kann. Wohin man auch geht, in welche Ecke der Insel es einen verschlägt, überall ist es speziell, anders, atemberaubend. Mal üppig und lieblich, mal karg und verlassen. Mal historisch-nostalgisch, mal vulkanisch brenzlig. Manche finden ihre Glückseligkeit im Hochland, andere in den Fischerdörfern, kurven vergnügt durch die Fjorde oder spazieren verträumt über die schwarzen Südstrände.

Auf was können sich Leserinnen nach «Kalmann» und «Tell» freuen? Haben Sie bereits Pläne für den nächsten grossen Roman?
Ich schreibe ein Buch über die Unterschiede zwischen der Schweiz und Island. Nein, Witz! Ich will eigentlich gar nicht verraten, woran ich arbeite. Es sind mehrere Projekte, an denen ich abwechslungsweise arbeite. Wann immer ich irgendwo nicht weiterkomme, nehme ich ein anderes Projekt zur Hand, und wenn gar nichts mehr geht, strenge ich mich an und schreibe eine Kurzgeschichte.

Das neueste Werk von Joachim B. Schmidt