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Warum ist Ingo Schulze ein so großartiger Erzähler? Weil seine Texte offenbaren, wie präzis er, was er sieht, in Sprache zu fassen vermag. Als Beobachter der Gesellschaft, in der wir leben, tritt uns Ingo Schulze in den vorliegenden Reden und Essays entgegen, die sein politisches Engagement zeigen - mit dem machtvollen Mittel der Sprache. 'Mein Problem war und ist nicht das Verschwinden des Ostens, sondern das Verschwinden des Westens, eines Westens mit menschlichem Antlitz. Spätestens seit 1989/90 befindet sich die Politik auf dem Rückzug. Sie gibt von sich aus die Kompetenz ab und ebnet einer Ökonomisierung aller Lebensbereiche, einem Exzess-Kapitalismus, den Weg. Die Politik versteht sich als Management, die Bürger werden auf Konsumenten reduziert, und der beste Bürger ist folglich der Playboy, weil er in möglichst kurzer Zeit möglichst viel ausgibt.' Für Ingo Schulze beginnt Widerstand mit Wahrnehmung. Seine Essays, Reden und Wortmeldungen zu Literatur und Gesellschaft sprechen eine Sprache, die die Welt als veränderbar zeigt. Und sie erinnern uns an eine schon fast vergessene Frage: 'Was wollen wir?'
Ingo Schulze wurde 1962 in Dresden geboren. Von 1983 bis 1988 studierte er Klassische Philologie in Jena und arbeitete anschließend als Dramaturg am Landestheater in Altenburg. Im Herbst 1989 verließ Ingo Schulze das Theater, um als politischer Journalist zu arbeiten. 1993 lebte er für ein halbes Jahr in St. Petersburg, wo er half, ein Anzeigenblatt redaktionell aufzubauen. Für sein Debüt '33 Augenblicke des Glücks' erhielt Ingo Schulze 1995 u. a. den Förderpreis des Alfred-Döblin-Wettbewerbs sowie den aspekte-Literaturpreis. Der New Yorker druckte 1997 drei Erzählungen aus dem Band ab - eine Ehre, die unter den deutschsprachigen Autoren zuletzt Max Frisch zukam - und ließ ihn im April 1998 als einen der 'Five Best European Young Novelists' von Richard Avedon porträtieren. Für seinen zweiten Erzählband 'Simple Storys' erhielt er 1998 den Berliner Literaturpreis. 2001 wurde Ingo Schulze, zu gleichen Teilen mit Thomas Hürlimann und Dieter Wellershoff, der Joseph-Breitenbach-Preis verliehen. In dem Briefroman 'Neue Leben', in dem er ästhetisch neue Wege geht, erwartet den Leser ein breit angelegtes Panorama des Jahres 1989 und seiner Folgen. 'Neue Leben' wurde in die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2006 gewählt. Kulturstaatsminister Bernd Neumann vergab im Juni 2006 an Ingo Schulze das Massimo-Stipendium 2007, das für einen einjährigen Aufenthalt in der Villa Massimo in Rom steht. Im März 2007 erhielt Schulze für seinen Erzählungsband 'Handy' den Preis der Leipziger Buchmesse. Mit 'Adam und Evelyn' stand er 2008 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Ingo Schulze ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Seine Bücher wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt.
Autorentext
Ingo Schulze wurde 1962 in Dresden geboren. Von 1983 bis 1988 studierte er Klassische Philologie in Jena und arbeitete anschließend als Dramaturg am Landestheater in Altenburg. Im Herbst 1989 verließ Ingo Schulze das Theater, um als politischer Journalist zu arbeiten. 1993 lebte er für ein halbes Jahr in St. Petersburg, wo er half, ein Anzeigenblatt redaktionell aufzubauen. Für sein Debüt "33 Augenblicke des Glücks" erhielt Ingo Schulze 1995 u. a. den Förderpreis des Alfred-Döblin-Wettbewerbs sowie den aspekte-Literaturpreis. Der New Yorker druckte 1997 drei Erzählungen aus dem Band ab - eine Ehre, die unter den deutschsprachigen Autoren zuletzt Max Frisch zukam - und ließ ihn im April 1998 als einen der "Five Best European Young Novelists" von Richard Avedon porträtieren. Für seinen zweiten Erzählband "Simple Storys" erhielt er 1998 den Berliner Literaturpreis. 2001 wurde Ingo Schulze, zu gleichen Teilen mit Thomas Hürlimann und Dieter Wellershoff, der Joseph-Breitenbach-Preis verliehen. In dem Briefroman "Neue Leben", in dem er ästhetisch neue Wege geht, erwartet den Leser ein breit angelegtes Panorama des Jahres 1989 und seiner Folgen. "Neue Leben" wurde in die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2006 gewählt. Kulturstaatsminister Bernd Neumann vergab im Juni 2006 an Ingo Schulze das Massimo-Stipendium 2007, das für einen einjährigen Aufenthalt in der Villa Massimo in Rom steht. Im März 2007 erhielt Schulze für seinen Erzählungsband "Handy" den Preis der Leipziger Buchmesse. Mit "Adam und Evelyn" stand er 2008 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Ingo Schulze ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Seine Bücher wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt.
Leseprobe
STIL ALS BEFUND
Über Alfred Döblin
Als ich vor zwei Jahren auf dieser Bühne stand, um den Döblin-Förderpreis entgegenzunehmen, fragte mich glücklicherweise niemand nach Alfred Döblin.
Zwei frühe Erzählungen kannte ich nur deshalb, weil ich sie Stunden zuvor aufgeschlagen hatte, um mich zu beruhigen. Als Abiturient war mir Berlin Alexanderplatz in die Hände gefallen. Im Lauf der Jahre hatte sich die Erinnerung daran nicht nur auf die Vorstellung von Stimmengewirr und Bewegung reduziert, sondern Verfasser und Titel waren zu »Döblin Alexanderplatz« verschmolzen, ohne dass das falsche Reimwort bemerkt worden wäre. Die Einladung zu dieser Rede war nun ein später Anlass, endlich die Bücher von Alfred Döblin zu lesen.
Das Stenogramm einer Lektüre in der Reihenfolge des Kennenlernens
Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine, ein Roman von 1918 - der Konkurrenzkampf zweier Unternehmer als Burleske, Assoziation statt Psychologie, viel Aktion, viel Dialog, der einem um die Ohren fliegt; was man aufschnappt, muss genügen.
Anders der erste Roman, Die drei Sprünge des Wang-lun, 1915, angesiedelt im China des 18. Jahrhunderts. Schnörkellose Sätze treiben die Handlung voran, die Geschichte entrollt sich vor dem Leser. Das Überhitzte, Wahnhafte der Novellen aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, bei denen man kein Nachwort braucht, um an Poe oder E. T. A. Hoffmann zu denken, fehlt hier.
Der Berlin-Roman Pardon wird nicht gegeben, 1934, erzählt vom Aufstieg und Fall einer kleinen Familie. Statt Episierung Einfühlung, sparsam der Wechsel der Perspektiven, zurückgedrängt der innere Monolog, die Übergänge klar, das Tempo verhalten, die Personage überschaubar wie die Handlungsbögen. Wo ist hier der Autor des Wadzek, wo der des Alexanderplatz?
Der Erzählfluss der Tetralogie November 1918, geschrieben Ende der dreißiger Jahre in Paris und Anfang der vierziger in Kalifornien, wälzt Rohes und Ziseliertes gleichermaßen mit sich. Die Handlung verzweigt sich, tauscht Schauplätze und Innenansichten. Trotzdem bleiben die großen Linien erkennbar.
Berge, Meere und Giganten von 1924, die Vision einer um 800 Jahre verlängerten Gegenwart, reicht von hymnischen Naturbeschreibungen über märchenhafte Novellen bis hin zu Kampfschilderungen im Stakkato.
Zeitgleich entstand Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord, eine Erzählung, gebaut aus kurzen Sätzen. Jeder eine unumstößliche Feststellung, eine unwiderlegbare Behauptung. Die Anamnese und Diagnose des Doktor med. Döblin, notiert vom Schriftsteller Döblin.
Der Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende, beendet 1946, veröffentlicht 1956, besteht aus einem Reigen von Novellen, die als bitteres Decameron, als moderne Tausendundeine Nacht auf die Rahmenhandlung übergreifen und sie aufbrechen. Verschiedene Sprachstile prallen aufeinander.
Ungelenk wirkt dagegen die davor entstandene Erzählung Der Oberst und der Dichter, eine Mischung aus Knittelvers und Prosa, grobe Holzschnitte, eine verzweifelte, scheiternde Didaktik.
1949 erschien Schicksalsreise, ein sachlicher und zugleich kunstvoller Bericht über Döblins Emigration von der Flucht aus Paris bis zur Rückkehr nach Deutschland.
Es soll hier nic…