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Ein Leben im Hotel: so viele Zimmer, so viele Erinnerungen. Frieda Troost hat im 'Zum Löwen' jahrzehntelang als Zimmermädchen gearbeitet, jetzt liegt das Haus im Randgebiet eines sterbenden Ruhrpott-Orts verlassen da und Frieda wird nicht mehr gebraucht. Aber wo sollte sie hin - ohne Familie, ohne Heimat und scheinbar umzingelt von der Bedrohung des Fremden: 'Ölaugen', 'Zigeuner', 'Kroppzeug', das sind die Wörter, die Frieda für die Bewohner des Asylbewerberheims um die Ecke findet; falsche Wörter, aber Frieda kennt keine anderen. Sie folgt ihren in den Zimmern abgelegten Erinnerungen durch das Haus, spricht dabei mit sich selbst und ihrer verstorbenen Tante. Bis sich eines Tages Nasifa, eine junge Frau aus Ghana, in ihrem Hotel 'einnistet'...
Astrid Sozio, geboren 1979, studierte nach einer Ausbildung zur Buchhändlerin unter anderem Wirtschaftswissenschaften in Deutschland und Creative Writing in England. Sie arbeitete unter anderem als Buchhalterin, Texterin und Schuhverkäuferin mit Stationen in Bochum, Frankfurt, Brüssel, London und Düsseldorf. Texte von ihr erschienen in der Süddeutschen Zeitung und diversen Literaturzeitschriften wie transmission magazine und entwürfe. 2012 war sie Finalistin beim Prenzlauer Berg Literaturpreis und 2014 beim Open Mike. Derzeit lebt sie mit ihrer Familie in Hamburg und arbeitet als freiberufliche Übersetzerin.
Ein Leben im Hotel: so viele Zimmer, so viele Erinnerungen. Frieda Troost hat im "Zum Löwen" jahrzehntelang als Zimmermädchen gearbeitet, jetzt liegt das Haus im Randgebiet eines sterbenden Ruhrpott-Orts verlassen da und Frieda wird nicht mehr gebraucht. Aber wo sollte sie hin - ohne Familie, ohne Heimat und scheinbar umzingelt von der Bedrohung des Fremden: "Ölaugen", "Zigeuner", "Kroppzeug", das sind die Wörter, die Frieda für die Bewohner des Asylbewerberheims um die Ecke findet; falsche Wörter, aber Frieda kennt keine anderen. Sie folgt ihren in den Zimmern abgelegten Erinnerungen durch das Haus, spricht dabei mit sich selbst und ihrer verstorbenen Tante. Bis sich eines Tages Nasifa, eine junge Frau aus Ghana, in ihrem Hotel "einnistet"...
Autorentext
Astrid Sozio, geboren 1979, studierte nach einer Ausbildung zur Buchhändlerin unter anderem Wirtschaftswissenschaften in Deutschland und Creative Writing in England. Sie arbeitete unter anderem als Buchhalterin, Texterin und Schuhverkäuferin mit Stationen in Bochum, Frankfurt, Brüssel, London und Düsseldorf. Texte von ihr erschienen in der Süddeutschen Zeitung und diversen Literaturzeitschriften wie transmission magazine und entwürfe. 2012 war sie Finalistin beim Prenzlauer Berg Literaturpreis und 2014 beim Open Mike. Derzeit lebt sie mit ihrer Familie in Hamburg und arbeitet als freiberufliche Übersetzerin.
Leseprobe
1
Die Nächte waren das Einzige. Alles andere machte mir nichts. Vierzehn Zimmer allein, das war Knochenarbeit. Aber Knochenarbeit hab ich mein Leben lang geleistet.
Früher wars die Hütte. Das Hochofenfeuer hat die ganze Nacht lang die Stadt beleuchtet. Als es dann aus war, wurd es trotzdem nicht dunkel, weil sie das nutzlose Ding mit bunten Lichtern anstrahlten, als wärs der Eiffelturm. Erholungspark nennen sie das. Für mich wärs erholsamer gewesen, wenn die Nacht mal wieder schwarz geworden wär und ich mehr als ein Schnapsglas Schlaf bekommen hätte. Ich hatte jeden Tag vierzehn Zimmer zu machen, es konnte schließlich jederzeit jemand kommen, und das merkt man einem Zimmer an, wenns nicht jeden Tag gemacht wird.
Ich hab nie viel von irgendwas gebraucht. Mit einer Tasse Kaffee kam ich bis zum Abend aus, bisschen Zucker drin oder ein Schluck Eierlikör, das reichte. Meine Mutter und ich haben ganze Winter mit einem einzigen Sack Kartoffeln überlebt. Eine Kartoffel am Tag und wenns wärmer wurde ein Klacks Löwenzahngemüse dazu.
Ich hab auch nie dran gedacht, Tante Gertrud die Wurst vom Brot zu mopsen. Mir fehlte nichts. Außer Schlaf. Schlaf war das Einzige, von dem ich viel brauchte. So viel, dass Tante Gertrud mich oft an den Haaren aus dem Bett ziehen musste.
Dann war ich plötzlich allein und hätte so lange schlafen können, wie ich wollte - und war wach. Jede Nacht.
Lag wach, fror bitterlich und wünschte mir, dass die Nacht endlich vorbeiging. Dass sich draußen wieder was bewegte. Und wenns ein Zigeuner gewesen wär.
Aber das ist eine Geisterstadt nachts, vor allem im Winter. Ehrlich gesagt, im Sommer ist es auch nicht besser. Auch tags nicht. Das war ganz schnell gegangen, nachdem sie die Flüchtlinge in die alte Berufsschule gesetzt hatten. Erst verschwanden die Leute von den Straßen, dann wurden die Schaufenster vernagelt. Gertrud hatte grad das neue Leuchtschild anbringen lassen. Hotel Zum Löwen, mit einem Löwenkopf oben, und drunter stand »Zimmer frei«, das konnte man anschalten. Keine drei Tage hat das geblinkt, da hatten sie es uns eingeschmissen.
Im Kino versuchten sie es noch eine Zeit mit Schmuddelfilmen, aber das lockte auch keinen mehr. War ja keiner mehr da. Außer uns, aber das schien niemand zu wissen. Wie auch, ohne Leuchtschild. Da hat auch der Glaspalast nicht geholfen, den sie am alten Bahnhof hingesetzt haben, wo kein Wunsch offenbleibt, wie das auf den Plakaten hieß. Von denen, die da einkauften, kam keiner bis zu uns rauf. Es war, als hätte man die Stadt hinterm Bahnhof abgebunden wie ein zerschossenes Bein. Das Einzige, was durchsickerte war Kroppzeug. Zigeuner, Kopftuchfrauen, Ölaugen. Aber in den kalten Nächten blieben auch die lieber in ihren Löchern.
Nur Gertrud krabbelte noch unterm Lichtkegel der Straßenlaterne herum, tastete nach dem Pfahl und zog sich daran wieder auf die Beine, wurde länger und länger und dünner, wie ein Schatten, wenn die Sonne untergeht, und schaute zu mir rein. Ihr Gesicht war schwarz wie lackiert, die Augen blendend weiß darin.
Das war nicht Gertrud, das war die Negerin. Wieder die Negerin.
Das konnte nicht sein. Mein Zimmer lag im ersten Stock, da konnte niemand durchs Fenster reinsehen. Und nachts kam die Negerin nie, da hatte ich oft genug nachgeschaut.
War ich also doch eingeschlafen.
Endlich, dachte ich und war wieder hellwach. Und blieb es.
Das war nicht nur das Licht und die Kälte. Da war was. Ich stand auf und sah nach, aber unter der Laterne war niemand.
Selbst die Negerin schlief also. Ich zog den Vorhang wieder zu, aber nicht ganz. Wenn ich schon mal wach war, konnte ich auch stehen bleiben und warten, bis sie kam.
Ich hatte sie noch nie kommen sehen. Und auch nicht gehen. Sie war immer einfach da, sobald es hell war, und wieder weg, wenns dunkel wurde. Also wartete ich. Blies mir in die hohlen Hände und legte sie über meine Ohren. I