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Neue Reihe: Interdisziplinäre Stadtforschung Herausgegeben vom Forschungsschwerpunkt "Stadtforschung" an der TU Darmstadt
Städte unterscheiden sich in ihrer Struktur und Anlage, in ihrem Potenzial, ihrer Geschichte und den Images, die sie hervorrufen. Obwohl die Differenzen im weltweiten Wettbewerb an Bedeutung gewinnen, wird die globale Angleichung der Städte zurzeit weitaus umfassender erforscht. Vor diesem Hintergrund verschiebt die neue Reihe die Perspektive von der Stadt auf diese Stadt. Städte werden in ihrer historisch gewachsenen und technisch-materiell fundierten Gestalt so analysiert und ins Verhältnis gesetzt, dass strukturelle Differenzen und Gemeinsamkeiten in den Blick geraten. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der eigenen Logik, die der Entwicklung jeder Stadt zugrunde liegt, sowie auf dem »lokalen Wissen«, das zur Lösung von Problemen beitragen kann. Die Herausgabe der Reihe erfolgt im interdisziplinären Verbund von Stadtforschern und Stadtforscherinnen aus den Sozial- und Geisteswissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Bauwesen und Architektur.
Autorentext
Silke Steets, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der TU Darmstadt im Schwerpunkt Stadt, Raum und Ort.
Leseprobe
1 Einleitung Im Mai 2007 veröffentlichte das monatlich erscheinende Leipziger Stadtmagazin Kreuzer die Titelstory "Wir sind die Stadt!". Das "Wir" beziehen Chefredakteur Björn Achenbach sowie die beiden Titelstory-Autoren Thyra Veyder-Malberg (Ressort Politik) und Robert Schimke (Ressort Kunst) auf Subkulturaktivisten, Künstlerinnen, Betreiber von Szeneläden, auf Nachbarschaftswerkstätten, Jugendprojekte und Bürgervereine. Sie meinen damit Menschen, die an ihren "persönlichen Visionen" bauen und dafür die in Leipzig vielfach vorhandenen "Freiräume zur Selbstverwirklichung" nutzen (Kreuzer 05/2007: 12ff.). In Leipzig blühe deshalb eine heterogene und kleinteilige Nischenökonomie, welche die Stadt viel nachhaltiger und positiver präge als die wenigen prestigeträchtigen Großprojekte. Nach der erfolgreichen Ansiedlung einer Reihe global operierender Unternehmen wie BMW, Porsche und DHL, und der gescheiterten Bewerbung um die olympischen Spiele 2012 müsse sich der Blick von der Weltbühne wieder zurück auf die Stadtteile richten. Denn das "kreative Heer der Träumer, Spinner, Lebenskünstler und Idealisten" hauche Leipzig "den viel gepriesenen frischen Atem ein" (ebd.: 16). Dass die meisten dieser Selbstverwirklicher ein Leben am Rande der Existenz führen, bleibt von den Autoren der Titelstory nicht unerwähnt. Dennoch sei Leipzig eine besonders gute Stadt für diese Akteure, denn "die prekäre Situation" gehe aufgrund niedriger Lebenshaltungskosten mit "einem guten Lebensgefühl" einher (ebd.: 15). "Leipzig fühlt sich trotz schlechter Wirtschaftsdaten dynamisch an. [] Es lebt sich so komfortabel in dieser Nische, dass der Anschluss an die große Ökonomie gar nicht erforderlich ist. Während andernorts alle Zeit und Kraft dafür draufgeht, die Miete zu verdienen, bleibt hier viel Raum für Entwicklung und persönliche Lebensqualität" (ebd.). Die Kreuzer-Titelstory, die im Folgeheft (Kreuzer 06/2007) durch einen Gastkommentar des Geografen Bastian Lange vom Leibniz-Institut für Länderkunde (Leipzig) zur "kreativen Wissensökonomie" aufgegriffen wird, darf als gezieltes Einmischen in die Imagepolitik der Stadt verstanden werden. Lange betont mit Verweis auf die Thesen des US-amerikanischen Regionalökonomen Richard Florida die Wichtigkeit eines "kreativen und innovativen Milieus" für das Wachstum einer Stadt und fordert neue Koalitionen zwischen Kulturpolitik und Wirtschaftsförderung, um den "kreative[n] Ausgangshumus" Leipzigs bestmöglich zu "befördern" (Kreuzer 06/2007: 7). Diese Argumente müssen zunächst vor dem Hintergrund einer lokalen Debatte um die Zukunftsvisionen der Stadt Leipzig gelesen werden. Im Herbst 2006 und im Frühjahr 2007 wurde in den lokalen Medien und im Rathaus der Entwurf eines Kulturentwicklungsplanes diskutiert, der Leipzigs Image bis 2015 als "Musikstadt" entwarf, und zwar entlang der Säulen Johann Sebastian Bach (der als Thomaskantor von 1723 bis 1750 in Leipzig wirkte), Gewandhausorchester (einem der ältesten, 1743 von Bürgern gestifteten Orchester mit Weltruhm), Thomanerchor (dessen Wurzeln bis ins Jahr 1212 reichen) und Oper. Nach Ansicht der Marketingspezialisten sollte die Stadt zukünftig in einem Atemzug mit den Musikstädten Salzburg und Wien genannt werden und so zahlreiche Touristen in die Stadt locken. Dies kritisierend, macht das Stadtmagazin Kreuzer mit seiner Titelgeschichte zu den "Selbstnutzer[n], Werkstätten, Kunsträumen und Pingpong-Kneipen" (ebd.: 12) einen Dualismus zwischen dem historisch-hochkulturell inspirierten Leitmotiv der Stadtvermarkter und den als weitaus stadtprägender empfundenen kleinteiligen und selbstorganisierten Initiativen in Leipzig auf: "Leipzig entwickelt sich von unten, und Leipzig wird von oben entwickelt - nur will beides momentan nicht zusammenpassen" (Kreuzer 05/2007: 3). Mit Langes Verweis auf die derzeit äußerst populären Ansichten Richard Floridas und der damit verbundenen Diskussion über den Zusammenhang von Kreativität, Wirtschaft und Stadt wird eine wichtige Hintergrundmelodie für die lokale Auseinandersetzung um die Kultur beziehungsweise Identität der Stadt Leipzig angestimmt. Spätestens, seitdem Florida 2002 seinen Bestseller The Rise of the Creative Class vorgelegt hat, ist weltweit die Rede vom ökonomischen Potential urbaner Kulturvielfalt. Ein Grund dafür mag die Tatsache sein, dass Florida, der seine Einsichten aus statistischen Korrelationen zwischen geschickt aggregierten Indizes und der ökonomischen Entwicklung US-amerikanischer Städte gewinnt, eine "creativity theory" von nahezu biblischer Einfachheit formuliert: "My view of creativity and cities revolves around a simple formula, the 3 T's of economic growth: technology, talent, and tolerance" (Florida 2005: 6). Städte, so Florida, in denen überproportional viele Universitätsabsolventen leben ("talent"), denen es gleichzeitig gelungen ist, Unternehmen aus dem wissensintensiven Hochtechnologiesektor anzusiedeln ("technology") und die sich durch eine besondere Form der Offenheit gegenüber nichtbürgerlichen Lebensformen auszeichnen ("tolerance"), weisen in Floridas Statistiken die höchsten ökonomischen Wachstumsraten und damit die größten Zukunftschancen aus. Denn diese Städte sind es, die zu Zentren der "creative class" werden, eine bei Florida weitgefasste und an sich hochmobile Gruppe von "scientists and engineers, university professors, poets and novelists, artists, entertainers, actors, designers, and architects, as well as [] nonfiction writers, editors, cultural figures, think-tank researchers, analysts, and other opinion-makers" (2005: 34). Zu diesen kommen die Anbieter wissensbasierter Dienstleistungen aus den Bereichen Gesundheit, Recht und Finanzen. Insgesamt macht die "kreative Klasse" bei Florida rund ein Drittel der Beschäftigten in der US-amerikanischen Wirtschaft aus. Und dieses eine, ökonomisch offensichtlich wichtigste Beschäftigungsdrittel wird Florida zufolge zunehmend von einem urbanen Flair, von heterogenen städtischen Kulturszenen und von einer offenen, toleranten Atmosphäre zum Beispiel gegenüber Homosexuellen, Subkulturaktivistinnen oder Bohemiens angezogen. Der Kultursoziologe Albrecht Göschel merkt an: "Auch für diese Berufsgruppen gilt demnach, was man bislang nur von Künstlern annahm, dass sie Kultur suchen, ihre Arbeitsplätze aber im Zweifelsfall dann selber schaffen. Kultur wird damit in einer ganz anderen Dimension als bisher vermutet als weicher Standortfaktor gerechtfertigt, Kulturpolitik in entspre…