Wie durch ein Wunder überleben die junge Anwältin Kendall Deaton und ihr Baby einen schweren Autounfall. Der Fahrer des Wagens hingegen kann sich an nichts mehr erinnern. Kendall gibt zu Protokoll, daß es ihr Ehemann sei. Doch warum will sie ihn dann so verzweifelt wieder loswerden?
Autorentext
Sandra Brown arbeitete als Schauspielerin und TV-Journalistin, bevor sie mit ihrem Roman »Trügerischer Spiegel« auf Anhieb einen großen Erfolg landete. Inzwischen ist sie eine der erfolgreichsten internationalen Autorinnen, die mit jedem ihrer Bücher die Spitzenplätze der »New York Times«-Bestsellerliste erreicht! Ihr endgültiger Durchbruch als Thrillerautorin gelang Sandra Brown mit dem Roman »Die Zeugin«, der auch in Deutschland zum Bestseller wurde. Seither konnte sie mit vielen weiteren Romanen ihre Leser und Leserinnen weltweit begeistern. Sandra Brown lebt mit ihrer Familie abwechselnd in Texas und South Carolina.
Leseprobe
Der Sling nuckelte an der Brust seiner Mutter.
Er strahlt wirklich Lebensfreude aus, meinte die Schwester. Irgendwie sieht man es einem Baby einfach an, ob es zufrieden ist oder nicht. Ich meine, das hier ist es.
Kendali konnte sich nur ein schwaches Leln abringen. Sie brachte kaum einen zusammenhenden Gedanken zustande, von einer richtigen Unterhaltung ganz zu schweigen. Immer noch versuchte sie, die Erkenntnis zu verdauen, dasie und ihr Kind den Unfall berlebt hatten.
Ein dnner gelber Vorhang schirmte im Untersuchungszimmer der Krankenhaus-Notaufnahme die Patienten notdrftig vom Gang ab. Neben den wein Metallken mit den Verben, Spritzen und Schienen befand sich ein Edelstahlwaschbecken. Kendali saauf dem gepolsterten Untersuchungstisch in der Mitte der Kabine und wiegte ihren Sohn in den Armen.
Wie alt ist er? fragte die Krankenschwester.
Drei Monate.
Erst drei Monate? Das ist aber ein kriges Kerlchen! Er macht sich prtig. Wie hei er noch mal? Kevin.
Die Krankenschwester lelte die beiden an und schttelte dann staunend und voller Ehrfurcht den Kopf. Ein Wunder, daIhnen nichts passiert ist. Eine schreckliche Situation, meine Liebe. Sind Sie nicht durchgedreht vor Angst?
Der Unfall war zu schnell passiert, als daKendali dem Geschehen he folgen knnen. Es hatte so gegossen, dader Wagen praktisch schon aufgeprallt war, ehe man den umgestrzten Baum gesehen hatte. Viel zu sphatte die Beifahrerin auf dem Vordersitz aufgeschrien, der Fahrer das Steuer herumgerissen und die Bremse durchgetreten.
Sowie die Reifen den Halt auf dem nassen Pflaster verloren, begann sich der Wagen um 180 Grad zu drehen, wurde erst von der Stra und dann ber das weiche, schmale Bankett geschleudert, um schlieich die viel zu schwache Leitplanke niederzurein. Alles nahm seinen unaberlichen Lauf.
Kendall hrte wieder den L, mit dem der Wagen die berwucherte Bschung hinunterstrzte. te kratzten die Lackierung auf, schen die Gummileisten ab und schlugen die Radkappen weg. Die Fenster barsten. Felsen und Baumstmpfe verbeulten die Karosserie. Merkwrdigerweise gab im Wagen niemand einen Laut von sich. Wahrscheinlich hatte das Entsetzen ihnen die Sprache verschlagen.
Obwohl sie den unvermeidlichen letzten Aufprall lange kommen sah, berraschte es sie, mit welcher Wucht der Wagen bei seinem Absturz auf die massive Fichte prallte.
Dem Gesetz der Schwerkraft folgend, hoben sich die Hinterrr steil an. Als das Fahrzeug endgltig zu Boden krachte, schlug es dumpf und massig wie ein tdlich verwundeter Bffel auf und gab dann einen pfeifenden Todesseufzer von sich.
Kendall hatte mit angelegtem Dreipunktgurt hinten gesessen und berlebt. Obwohl der Wagen obendrein geflich schief an dem abschssigen Hang klemmte, schaffte sie es, mit Kevin in den Armen aus dem Wrack zu klettern.
Das Gele da draun ist ziemlich unwegsam, bemerkte die Krankenschwester. Wie, um alles in der Welt, sind Sie aus dieser Schlucht rausgekommen?
Das war nicht leicht gewesen.
Sie hatte gewu, daes schwierig werden wrde, sich zur Stra hochzuhangeln, aber hatte unterscht, wieviel Kraft sie der Aufstieg kosten wrde. Kevin in ihren Armen zu halten, hatte das Ganze doppelt erschwert.
Das Gele schenkte ihr nichts, das bswillige Wetter genauso wenig. Der Boden war nur noch schlammiger Morast. Darber breitete sich ein verfilzter Pflanzenteppich, durch den sich immer wieder scharfkantige Felsen bohrten. Der Regen peitschte fast waagerecht durch die Luft und hatte sie in wenigen Minuten bis auf die Haut durchn.
Noch bevor sie ein Drittel des Weges geschafft hatte, begannen die Muskeln in Armen, Beinen und im Rcken zu ermatten und vor eranstrengung zu brennen. Die ungeschtzte Haut wurde durchbohrt, zerkratzt, aufgerissen, blaugeschlagen, wundgepeitscht. Mehr als einmal meinte sie, es nie zu schaffen, und he am liebsten aufgegeben, um sich hinzulegen und zu schlafen, bis die Natur ihr Leben und das ihres Kindes forderte.
Aber der erlebensinstinkt war ster als diese verlockende Unterwerfung, deshalb kfte sie weiter. Schlingpflanzen und Felsen als Halt und Futtzen nutzend, zog sie sich hoch, bis sie endlich die Stra erreichte, wo sie in der Hoffnung auf Hilfe dahinwankte.
Sie war am Rande des Deliriums, als sich zwei Scheinwerfer durch den Regenschleier bohrten. Erleichterung und Erschpfung berwigten sie. Statt dem Auto entgegenzulaufen, sank sie auf dem Mittelstreifen der schmalen Landstra zusammen und wartete darauf, dadas Auto vor ihr hielt.
Ihre Retterin war eine schwatzhafte Frau unterwegs zu einer Mittwochabendpredigt. Sie setzte Kendall beim nstbesten Haus ab und meldete den Unfall. Zu ihrem Erstaunen erfuhr Kendall spr, dasie nur eine Meile von der Unfallstelle entfernt gewesen war, als die Frau sie aufgelesen hatte. Ihr war es eher wie zehn vorgekommen.
Ein Krankenwagen brachte sie und Kevin ins nste Ortskrankenhaus, wo man sie grndlich untersuchte. Kevin war unverletzt. Sie hatte ihn gerade gestillt, als der Wagen ber den Abhang geschossen war. Instinktiv hatte Kendall ihn an ihre Brust gepre und sich vorgebeugt, ehe der Schultergurt einrastete und sie zurckhielt. Ihr Krper hatte ihn geschtzt.
Zahllose Schnitte und Kratzer schmerzten sie zwar, waren aber harmlos. Die Glassplitter wurden ihr einzeln aus den Armen gezogen, ein unangenehmer und zeitaufwendiger Vorgang, der aber nicht der Rede wert war, wenn man bedachte, was ihr alles he zuston knnen. Ihre Wunden wurden desinfiziert; das angebotene Schmerzmittel lehnte sie ab, weil sie ihr Kind noch stillte.
Aurdem mue sie sich jetzt, nachdem sie gerettet und ihre Wunden versorgt waren, einen Fluchtplan zurechtlegen. Beruhigungsmittel wrden sie am Nachdenken hindern. Sie brauchte einen klaren Kopf, um ihr erneutes Verschwinden zu planen.
Ist es okay, wenn der Hilfssheriff jetzt reinkommt?
Sheriff? wiederholte Kendall. Die Frage der Krankenschwester risie aus ihren Gedanken.
Er mchte schon mit Ihnen reden, seit man Sie hergebracht hat, um den offiziellen Kram mit Ihnen zu kln.
Ach so. Natrlich, soll ruhig reinkommen!
Kevin hatte sich sattgetrunken und schlief friedlich. Kendall zog das Krankenhaushemd zu, das man ihr gegeben hatte, nachdem man ihr die nassen, schmutzigen, blutigen Sachen ausgezogen und sie eine hei Dusche genommen hatte.
Auf ein Zeichen der Krankenschwester hin trat der rtliche Gesetzeshter mit einem Begrngsnicken durch den Vorhang. Wie geht's Ihnen, Madam? Alles okay? Er nahm hflich die Mtze ab und sah sie ernst an.
Es ist alles in Ordnung, glaube ich. Sie rperte sich und versuchte berzeugender zu klingen. Wir sind wohlauf.
Ich sche, Sie haben ganz schn Glck gehabt, am Leben und heil und ganz zu sein, Madam.
Da gebe ich Ihnen recht.
Der Unfallhergang ist vllig klar, mit dem umgestrzten Baum mitten auf der Stra und so weiter. Der Blitz hat ihn erwischt und genau ber der Wurzel geft. Hier gie's schon seit Tagen, der Regen hrt wohl nie mehr auf. Alles ist berflutet. Wundert mich nicht, dader Bingham Creek Ihren Wagen gleich fortgerissen ha…