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Paris 1926, ein Varieté am Montparnasse. Eigentlich hatten der Bühnenzauberer Ravi und seine Assistentin Blanche nur ihr harmloses Zauberkunststück im Sinn. Dann aber wird der große Ravi gezwungen, die älteste Regel der Zaubererzunft zu brechen: Vor aller Augen setzt er echte Magie ein.
Platz beim RPC-Award 2010, Kategorie Literatur
»Ein wunderschönes Märchen, das auch noch gut ausgeht.«
Helmut Petzold, Bayern 2, 6.03.2010
Justine, die junge Kellnerin des »Jardin«, der bärbeißige Wirt Alphonse und der glücklose Schriftsteller Gaspard - keiner von ihnen weiß, warum sich plötzlich ein seltsames Dämmerlicht über Paris legt.
Die geheime Société, die über alle Magie wacht, ist alarmiert und hat bereits ihre Vertreter entsandt, um den abtrünnigen Zauberkünstler Ravi und seine bezaubernde Assistentin Blanche zu bestrafen. Im »Jardin«, dem kleinen Hotel am Boulevard Raspail treffen sie schließlich aufeinander, um zu klären, was unerklärlich scheint. Der Kampf zwischen Wirklichkeit und Traum, der nun entbrennt, hält nicht nur Gaspard und Justine in Atem, sondern verschlingt die gesamte Stadt: Paris steht still, keine Glocke schlägt die Zeit. Das Pendel im Chor von Saint-Martin-des-Champs schwingt aus, und niemand weiß, ob sich die Welt noch dreht ...
Der Autor hat den Deutscher Phantastikpreis 2008 erhalten und ist der Co-Autor des »Narnia« Rollenspiels.
Vorwort
Man sieht Magie nur mit dem Herzen - ein betörender Roman
Autorentext
Oliver Plaschka, geboren 1975 in Speyer, promovierte an der Universität Heidelberg und arbeitet als freier Autor und Übersetzer. Seine teils fantastischen, teils historischen Romane und Kurzgeschichten gewannen zahlreiche Preise, so wurde u.a. sein Debüt »Fairwater« 2008 mit dem Deutschen Phantastikpreis ausgezeichnet. In der Hobbit Presse erschienen »Die Magier von Montparnasse« und »Das Licht hinter den Wolken«.
Leseprobe
Vor dem Fall - Rue de la Gaité, 26.9.1926
Die Ereignisse jenes Sonntags im September, die in ein solches Tohuwabohu münden sollten, dass später niemand seine Verwicklung in sie eingestehen mochte (besonders nicht die Mitglieder der Société Silencieuse), entzündeten sich an einer unbedeutenden Kleinigkeit, welche sich unglückseligerweise gerade zum Abschluss unserer sonst recht erfolgreichen Reihe von Vorstellungen im Bobino zutrug.
Ein Engagement im Bobino konnte man zu dieser Zeit getrost als Krönung einer jungen Karriere bezeichnen. Ich weiß nicht, was Blanche - ich bin in Geschäftsdingen nicht erfahren - Philbert, dem Direktor, versprochen hatte, der aus dem übergroßen Café gerade erst wieder ein Varieté gemacht hatte, wie es bereits Mitte des vorigen Jahrhunderts eines gewesen war. Allerdings war mein Eindruck, dass von all den Menschen, die in diesen verrückten Jahren nach Montparnasse strömten, allenfalls ein Zehntel ernsthaft am Talent der Künstler interessiert war, die hier ihr Refugium gefunden hatten. Die übrigen neun waren gekommen, um nackte Brüste und fliegende Beine zu sehen - und dann erklären Sie mal einem Varietédirektor, weshalb er einen altmodischen Zauberkünstler wie Sie engagieren sollte.
Wir bekamen eine ganze Woche. Blanche kam freudestrahlend aus Philberts Büro und wedelte aufgeregt mit einem Blatt Papier, auf dem die Grundzüge unseres Programms festgehalten waren, wie wir es voriges Jahr auf den Kleinbühnen Montmartres gespielt hatten. Nicht allzu verwunderlich, dass die Hälfte der Tricks nun durchgestrichen und durch andere ersetzt war. Kopfschüttelnd überflog ich die neue Liste. Amor vincit omnia , stand in Blanches schwungvoller Mädchenschrift darüber.
»Das ist unser neues Programm«, verkündete sie und umarmte mich.
»Bei allen Geistern, Blanche«, wand ich mich, »viele dieser Nummern haben wir noch nie hinbekommen! Wieso hast du ihm nicht gleich den indischen Seiltrick verkauft?«
Sie legte die Stirn in Falten, als schmolle sie. Der indische Seiltrick endete traditionell mit der Verstümmelung der Assistentin, und es gab sehr geteilte Auffassungen darüber, ob es überhaupt möglich war, ihn mehr als einmal aufzuführen.
»Vertrau deinen Fähigkeiten, Ravi«, redete sie mir zu. »Wir schaffen das, wenn wir uns Mühe geben. Die Liebe besiegt alle Hindernisse!«
Ich seufzte. Meine Fähigkeiten waren nicht das Problem. Das Problem war, den Leuten einen Trick zu verkaufen. Keine echte Magie. Blanche wusste das sehr gut, doch Menschen das Unmögliche glauben zu machen, ohne das Unmögliche zu vollbringen, war genau das, was sie an unserem Beruf so liebte. Ich wäre ohne sie völlig hilflos gewesen.
»Wir müssen sofort die Liste durchgehen«, entschied ich, und so machten wir uns an die Arbeit.
Die kleineren Wünsche Philberts waren leicht zu berücksichtigen. Blanche kürzte ihr Kleid an den entscheidenden Stellen, und die Show wurde noch mehr zu ihrer als meiner. Mir machte das nichts; der Zauberer sollte auf der Bühne Ruhe ausstrahlen, so dass man ihm im entscheidenden Moment vertraut, und je mehr Aufmerksamkeit auf seiner Assistentin liegt, um so besser. Wir bekamen ein kleines Orchester - ein Streichquartett, ein Schlagzeug, der Ablenkung zuliebe, und eine Klarinette für die Schlange - sowie einige Bühnenarbeiter, die sich um die komplexen Lichteffekte kümmerten. Die Arbeiter unterschrieben alle einen Vertrag, dass sie kein Wort über das verlieren durften, was sie hinter dem Vorhang erlebten. Dasselbe galt für die beiden ägyptischen Tänzerinnen, die wir für den letzten Auftritt benötigten und die natürlich nicht aus Ägypten stammten. Mir behagte das Ganze nicht; ich hatte nie mit anderen Assistenten als mit Blanche gearbeitet. Aber für Romeo und Julia im Land der Pharaonen waren sie unabdingbar. »Wer sonst sollte dich in dein Grab sperren, wenn ich nicht mehr bin?«, witzelte Blanche. Ich persönlich hielt die Nummer für eigensinnig und gefährlich.
Ich liebe die leisen Töne der Bühnenmagie. Ich habe jahrelang den Trick mit den sich verhakenden Ringen geübt, bis niemand mehr den Moment sah, in dem sie ineinander glitten. Ich habe ein gutes Händchen für Mentalistenstücke - die richtige Karte aus einem Stapel zu ziehen, oder mir den Inhalt eines Zettels aus dem Publikum zu merken, während ich so tue, als lese ich den vorherigen vor; mit dem richtigen Tempo, der richtigen Musik und der richtigen Assistentin können Sie die Aufmerksamkeit des Publikums für Stunden fesseln, und Sie brauchen kaum mehr als einen Hut und ein wenig Spielzeug dafür. Es ist faszinierend, wie selten Menschen an das Offensichtliche denken; sie freuen sich, drei Seiten eines Kastens solide zu wissen, und fragen gar nicht erst nach der vierten, die immer von ihnen abgewandt ist. Menschen können sich vorstellen, dass ein Magnet an einem Gummiband im Ärmel hängt, aber nicht, dass dieses Band wiederum von einem unsichtbaren Faden am Finger des Zauberers betätigt wird. Und sie schwören Stein und Bein, dass Sie sie nie berührt haben, keine zwei Minuten, nachdem Sie ihnen bei der Begrüßung beiläufig die Hand gaben.
Philbert aber wollte nur die lauten Töne - je schriller, desto besser. Die Männer, die sich überlegten, ob sie ihren Lohn nicht eher für einen Abend im Jockey mit Kiki oder eine Zechtour am Carre-four Vavin sparen sollten, wollten Blanche und mich von Speeren und Schwertern durchbohrt sehen, sie wollten Flammen und Blitze, Elefanten und Strauße, und zehn nackte Tänzerinnen dazu; und Philbert wollte ihr Geld, und zwar mehr als alles andere.
Also übten wir.
Wir nutzten die Möglichkeiten, die das Bobino uns bot, und ersetzten den alten Schwebetrick, bei dem Blanche unter wehenden Tüchern verschwand, durch die eindrucksvollere Variante, bei der Gesicht und Füße unbedeckt blieben und sie nicht von mir, sondern einer Mechanik hinter dem Vorhang in die Luft gehoben wurde. Blanche mochte diesen Trick wegen des Märchenkleides, das sie dazu trug und das sie wie die schlafende Prinzessin Perraults a…