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Interdisziplinäre Stadtforschung
Graziös, leicht, sportlich: die typische Münchner Modeszene unterscheidet sich deutlich von Frankfurts Mode, die zwischen Business-Style und »pragmatisch« pendelt. Kristina Siekermann dokumentiert, dass jede Stadt ihre individuelle, stadtspezifische Mode hervorbringt. Neben den Modeschaffenden wird der Einfluss weiterer Akteure auf die »Eigenlogik« einer Stadt untersucht. Dabei zeigt sich, dass die unterschiedlichen modischen Besonderheiten Ausdruck des Selbstverständnisses der jeweiligen Stadt sind, in denen charakteristische Wertvorstellungen, lokale Wissensformen und informelle Praktiken sichtbar werden.
Vorwort
Interdisziplinäre Stadtforschung
Autorentext
Kristina Siekermann, Dr. phil., studierte Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Stadt- und Regionalsoziologie an der HU Berlin.
Leseprobe
1 Einleitung, Forschungsfrage und Zielsetzung Das brennendste Interesse der Mode liegt [] in ihren außerordentlichen Antizipationen. [] Jede Saison bringt in ihren neuesten Kreationen irgendwelche geheimen Flaggensignale der kommenden Dinge. Wer sie zu lesen verstünde, der wüßte im voraus nicht nur um neue Strömungen der Kunst, sondern um neue Gesetzbücher, Kriege und Revolutionen. (Walter Benjamin 1982: 112) »Die Zukunft liegt in den Städten«, so lautete der Titel der Festschrift des Deutschen Städtetags, die anlässlich des 100-jährigen Bestehens im Jahr 2005 erschien (vgl. Deutscher Städtetag 2005). Auch heute habe dies nicht an Aktualität verloren, betonte man auf dem Städtetag 2012 (vgl. Deutscher Städtetag 2012: 5). Der Hintergrund dafür ist, dass im Jahr 2008 erstmals mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung in Städten lebten (3,42 Mrd. Menschen) und dieser Anteil rasant wächst (vgl. Deutsche Stiftung Weltbevölkerung 2012). Bis zum Jahr 2030 wird er sich nach Schätzungen der Vereinten Nationen auf 60 Prozent erhöhen (vgl. United Nations 2005: 9). Während weltweit aktuell jeder zweite Mensch in einer Stadt lebt, liegt in Deutschland der Urbanisierungsgrad das heißt der Anteil der Stadtbevölkerung an der Gesamtbevölkerung sogar bei 88 Prozent (vgl. Löw 2009: 1; Borgmann et al.: 2006). In Deutschland steigt seit einigen Jahren der Urbanisierungsgrad wieder an, was auf unterschiedliche Faktoren wie den demografischen Wandel, die steigenden Energiepreise und so weiter zurückzuführen ist. Dabei zeigt sich, dass sich Städte unterschiedlich entwickeln: Es lässt sich ein Nebeneinander von wachsenden, stagnierenden und schrumpfenden Städten feststellen. In einigen Städten wie zum Beispiel München oder Frankfurt am Main erhöht sich die Einwohnerzahl kontinuierlich, während die Bevölkerung in Deutschland insgesamt abnimmt (vgl. DIW 2010: 3, 11). Stadtentwicklung und Stadtplanung werden zu immer zentraleren Herausforderungen, und ihr Gelingen wird zunehmend über die Zukunftsfähigkeit der jeweiligen Gesellschaft entscheiden. Im Zuge von Globalisierung und von Städtekonkurrenzen um ökonomische, soziale, kulturelle und ökologische Ressourcen lässt sich in Städten zunehmend eine lokalspezifische Art und Weise beobachten, mit diesen aktuellen Prozessen umzugehen, die nicht mit einer übergreifenden (globalen) Systemlogik erklärt werden kann. Ein Vergleich der Strukturdaten von Städten wie beispielsweise München und Frankfurt am Main würde zwar neben Ähnlichkeiten auch Unterschiedlichkeiten aufzeigen. Diese Analogien bzw. Unterschiede ließen sich aber nicht erklären, und die Städte könnten aufgrund dieser Daten allein nicht identifiziert werden. Dennoch kann nicht bestritten werden, dass München gegenüber Frankfurt eine deutlich andere Atmosphäre zukommt und spezifische Eigenschaften besitzt. Das muss durch Unterschiede bedingt sein, die über Strukturdaten so nicht erkennbar sind. Im Alltagswissen existieren zum Teil sehr genaue Vorstellungen darüber, was das Eigene einer bestimmten Stadt ausmacht. So ist beispielsweise zu lesen, dass es drei Arten von Städten in Deutschland gebe: »Städte wie München, in denen viel Geld verdient, aber auch viel Geld ausgegeben wird; [] Städte, in denen fast überhaupt kein Geld verdient wird, aber dieses Nichts umso entschlossener auf den Kopf gehauen wird: Berlin zum Beispiel. Und es gibt Frankfurt, eine Stadt, in der enorm viel Geld verdient und fast keines ausgegeben wird« (Maak 2003: 136; vgl. auch Maak 2009). Ähnliche Betrachtungen zu den Besonderheiten einer Stadt beschäftigen sich mit Fragen nach Spezifika, die nur einer bestimmten Stadt zukommen und deren eigenen »Charakter« ausmachen. Das kann zum Beispiel eine typische »Farbe« sein. Oder diese Betrachtungen befassen sich damit, ob Städten eine »Seele« zugesprochen werden kann. So werben beispielsweise Schweizer Städte mit ihren »unterschiedlichen Charakteren«, wodurch sie ihren jeweiligen Besuchern ein spannendes Programm der »ganz besondere[n] Weise« bieten (Travelmobility 2011). Die Frauenzeitschrift Glamour stellt die Frage, welcher »Charakter einer Stadt« zukommen müsse, damit er am besten zu dem der Leser passe (Glamour 2012). Denn jede Stadt habe ihren ganz eigenen Charakter (vgl. ebd.). Der »Charakter einer Stadt«, so wiederum die Ansicht eines Weltreisenden, spiegele sich am besten in ihren Taxis wider (Capito 2011). Daher sei beispielsweise New York »gelb« (ebd.). Zu dem gleichen »Farb-Ergebnis« kommt auch eine Umfrage des Bahnmagazins »Mobil« im Jahr 2005 (Bomm 2011). Ohne dass die Befragten je in New York waren, betrachteten sie diese Stadt als »gelb« (z.B. aufgrund gelber Taxis, gelber Schulbusse, gelber Verkehrsschilder usw.). London sei indessen rot und Berlin grün (vgl. ebd.) wobei Letzteres in dem im Jahr 2011 erschienenen Buch »Welche Farbe hat Berlin?« neu diskutiert wird (vgl. Wagner 2011). Die Stadtplanerin Sophie Wolfrum bejaht die Frage danach, ob »Städte eine Seele« haben (Wolfrum 2003). Um die »Seele Mannheims« zu erforschen, machte sich jüngst ein Forscherteam auf die Suche (Stadtforschungsschwerpunkt der TUD 2012). Jenseits allen Datenmaterials sollte das Eigene der Stadt mit einem neuen Blick auf die Stadt aufgespürt werden (vgl. ebd.: 5f.). Eine Ausstellung der vergleichsweise jungen Ruhrgebietsstadt Oberhausen dokumentiert »die Seele der Stadt« hingegen in Bildern (Rieckers 2012). »Geheimnis und Schlüssel« der »Seele Damaskus« wiederum lägen in der »Kontinuität« der Stadt, nämlich eine der ältesten ununterbrochen bewohnten Städte der Welt zu sein, schrieb der syrisch-deutsche Schriftsteller Rafik Schami (Schami 2012). Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Die Diskussionen zielen letztlich auf die Frage, »wie Städte zu charakterisieren sind, und bestätig[en], was alle wissen und was sich in der Kommunikation verfestigt: Städte unterscheiden sich fundamental« (Löw 2008b: 9). Jede Stadt produziert ihre ganz eigenen Bilder, Klischees oder »Farben« und befördert sie in die Welt, um im wirtschaftlichen und touristischen Wettbewerb beziehungsweise in Rankings verschiedenster Art bestehen zu können und um ein einzigartiges Profil aufzuweisen. Dieses besondere Profil wird zum einen am jeweiligen Ort erzeugt, zum anderen wird es erst relational im permanenten Vergleich mit anderen Städten deutlich. Während in Untersuchungen der Frage nach dem Gemeinsamen im Kontext der Annahmen zur globalen Homogenisierung von Städten nachgegangen wird, bleibt in der sozialwissenschaftlichen Forschung bisher weitgehend undiskutiert, was die Besonderung einer Stadt ausmacht und welche Strategien eigenständiger Entwicklungen sowie Handlungslogiken erkennbar sind, um sich im (globalen) Wettbewerb behaupten zu können, die jeweilige »Individualität« zu konstituieren und ihre Einzigartigkeit unter Beweis zu stellen (vgl. Berking/Löw 2008a; 2008b; Löw 2008b). Oftmals wird die Sichtbarkeit der jeweiligen Stadt durch das Unterordnen des Ortes unter einen als global konzipierten Raum vernachlässigt. Bei dieser Sichtweise kommt »nicht nur das Spezifische am Gebilde Stadt, sondern auch die spezifische St…
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