Auf der Grundlage von Hegels Denkfigur erweitert Hannes Kuch die Anerkennungstheorie um die Kategorie der Macht: Mit der Figur von Herr und Knecht entpuppt sich das Streben nach Macht als Streben nach Anerkennung. Die Analyse der Macht im Horizont von Würdigung und Entwürdigung führt zu einem neuen Konzept der symbolischen Macht, das im Anschluss an die Transformationen von "Herr und Knecht" in der französischen Philosophie, in feministischen und postkolonialen Studien sowie in der Historiographie der Sklaverei ausgearbeitet wird.
Autorentext
Hannes Kuch, Dr. phil., ist Postdoctoral Research Fellow am Institut für Ideengeschichte der Universität Stockholm.
Leseprobe
Einleitung Macht, so lautet eine gängige Vorstellung, betrifft die Einschränkung oder Erweiterung von Handlungsspielräumen von Akteuren im Verhältnis zu anderen Akteuren. Das Konzept der Macht meint im Kern die Fähigkeit, Andere dazu zu bewegen, zu tun, was man selbst will. Dieses Verständnis von Macht lässt sich zu der Aussage verdichten, dass in einer Machtbeziehung der Wille des Einen das Tun des Anderen bestimmt. Man kann ein solch handlungstheoretisches Machtverständnis von Max Weber bis zu Hobbes zurückverfolgen, ja vielleicht sogar bis zu Aristoteles. Selbst Foucault, der sich in vielerlei Hinsicht von Hobbes und Weber abgrenzt, legt mit seiner Bestimmung, dass Macht "ein Handeln auf ein Handeln" (Foucault 1987: 254) sei, den Akzent auf die Handlungsfähigkeit. Bei aller Unterschiedlichkeit kreist der Machtbegriff in diesen verschiedenen Varianten um die Stimulierung, Lenkung oder Erzwingung von Handlungsweisen in mehr oder weniger umkämpften sozialen Verhältnissen. Hier steht die Frage im Zentrum: Wer tut was? Wer kann wen mit welchen Handlungen zu welchen Handlungen bewegen oder zwingen? Die vorliegende Studie entfaltet demgegenüber eine andere Dimension der Macht, in der Macht mit der Einnahme von anerkannten oder miss-achteten Subjektpositionen im sozialen Raum zu tun hat. Damit geht es nicht so sehr um Handlungsmacht und Ohnmacht als um Anerkennung und Missachtung. Dieses Register der Macht werde ich symbolische Macht nennen. Ob es sich um die Herabsetzung durch sprachliche Ge-walt, die Beschämung durch objektivierende Blicke, die Exklusion durch kulturelle Exotisierung oder die Herabwertung durch soziale Klassifikatio-nen handelt: Stets sind die Praktiken und Strukturen symbolischer Macht mit der Zuteilung oder Verweigerung von Anerkennung verbunden, wel-che die Subjekte eher in ihrem Selbstverhältnis als ihrem Handlungsspiel-raum betreffen. Symbolische Macht vollzieht sich im Medium von Worten, Bildern und Gesten, sie manifestiert sich in gesellschaftlichen Ka-tegorien, Klassifikationen und Repräsentationen, und doch dreht sich diese Form der Macht um mehr als bloße Worte oder bloß symbolische Handlungen. Ganz im Gegenteil verweist das Symbolische der symbolischen Macht auf eine existenzielle Verletzbarkeit, die darin besteht, dass Menschen allein durch rein symbolische Handlungen, durch das bloße Wort, verwundet werden können. Ordnungen symbolischer Macht basieren auf dieser besonderen Verletzbarkeit von Subjekten. Die Analyse der Macht auf der Basis von Würdigung und Entwürdigung werde ich im Rückgang auf jene Denkfigur vornehmen, in der das Problem der Macht von Vornherein unter dem Vorzeichen der Anerkennung untersucht wird: Hegels Herr und Knecht. Diese für Philosophie und Sozialtheorie gleichermaßen folgenreiche Figur bildet die Grundlage, um dem Problem der Anerkennung in Machtverhältnissen nachzugehen. Auf diese Weise eröffnet sich eine neue Perspektive auf die Frage nach dem Verhältnis von Macht und Anerkennung - eine der grundlegenden Fragen der politischen Philosophie und Sozialphilosophie. So ist für die politische Philosophie die Einsicht wesentlich, dass Machtordnungen letztlich auf der Anerkennung der Machtunterworfenen beruhen. Denn mit schierer Gewalt lassen sich stabile politische Ordnungen auf Dauer nur bedingt aufrechterhalten. Die Vorrechte und Befugnisse der Herrschenden müssen als legitim anerkannt werden, soll die politische Herrschaft dauerhaft und verbindlich sein. "Der Stärkere", so heißt es in Rousseaus Gesellschaftsvertrag, "ist nie stark genug, immer Herr zu sein, wenn er nicht seine Stärke in Recht und den Gehorsam in Pflicht überführt." (Rousseau 2003: 9) Von Rousseau über Weber bis Habermas reicht die Reihe derjenigen, die die Beständigkeit von Herrschaftsordnungen nur durch die praktische Anerkennung der beherrschten Subjekte gesichert sieht. Die Anerkennung der Herrschaft mag ideologisch motiviert sein, sie mag nur auf Scheingründen beruhen, doch entscheidend ist der Umstand, dass Herrschaft überhaupt auf die Legimitierung durch Gründe angewiesen ist. Der Legitimitätsglaube (Weber 1922: 16, 122) ist für die Verstetigung und Institutionalisierung von Machtordnungen wesentlich. Dieser philosophisch wirkmächtigen Verknüpfung von Macht und Anerkennung geht es um einen praktischen Begriff von Anerkennung, der mit der Billigung oder Bekräftigung von Befugnissen, Ansprüchen und Normen zu tun hat. Im Folgenden wird eine Ebene der Anerkennung behandelt, die darüber hinausgeht. Im Zentrum stehen die Würdigung und Wertschätzung, die Entwürdigung und Geringschätzung, die sich auf Personen, Identitäten oder soziale Gruppen bezieht. Diese starke Form der würdigenden Anerkennung wurde in der zeit-genössischen Sozialphilosophie der Anerkennung zum Gegenstand der Untersuchung. Ob es um die Würdigung der Gleichheit aller Subjekte im Medium des Rechts geht oder um die Wertschätzung der Besonderheiten spezifischer sozialer Gruppen und Individuen, immer handelt es sich For-men der Anerkennung, die über die bloße Akzeptanz oder Billigung von faktischen Befugnissen hinausgehen. Die von Axel Honneth und Charles Taylor entfaltete Anerkennungstheorie kann darlegen, inwiefern die wech-selseitige Anerkennung zwischen Subjekten für die Herausbildung von Selbstverhältnissen wesentlich ist, und sie kann auf diese Weise zu einem Verständnis des Sozialen gelangen, in dem die Freiheit des Subjekts mit der Freiheit des Anderen verschränkt ist. Den Ausgangspunkt der Anerkennungstheorie bildete die negative Anerkennung in Gestalt von spezifischen Formen der entzogenen Aner-kennung. Es sind Phänomene der Missachtung, Entwürdigung oder Belei-digung, die überhaupt erst die Wichtigkeit des Strebens nach Anerkennung verdeutlichen und zu Kämpfen um Anerkennung führen können. Die vorenthaltene Anerkennung hängt dabei mit Macht zusammen: "Nichtanerkennung oder Verkennung", so heißt es bei Char-les Taylor, "kann Leiden verursachen, kann eine Form von Unterdrückung sein, kann den anderen in ein falsches, deformiertes Da-sein einschließen." (Taylor 1993: 14) Auch in der Anerkennungstheorie von Honneth bildet die defizitäre Anerkennung den Ausgangspunkt der Untersuchung, hier werden Formen des Unrechts, der Herrschaft und der Gewalt in spezifischer Weise als Phänomene der Missachtung analysiert. Mit diesem Ansatz stehen nicht der materielle Zwang oder die materielle Schädigung im Vordergrund, sondern die Erfahrung der De-mütigung, die sich auf die Selbstverhältnisse der betroffenen Subjekte auswirkt. Im Rahmen der Anerkennungstheorie wurde also darauf auf-merksam gemacht, dass Strukturen der vorenthaltenen Anerkennung, der Missachtung, mit Formen sozialer Macht verbunden sind. Wenngleich es gerade die Negativität der vorenthaltenen Anerkennung ist, die die An-erkennungstheorie begründet und antreibt, bleibt das Verständnis von Machtverhältnissen und Anerkennungsordnungen am Ende jedoch ver-nachlässigt. So zielt Charles Taylors Analyse insgesamt nicht etwa auf das Problem der Nichtanerkennung in gesellschaftlichen Machtverhältnissen, sondern auf die Bedeutsamkeit der positiven Anerkennung von kulturel-len Differenzen. Und auch in Honneths Überlegungen nehmen die unter-schiedlichen Formen positiver Anerkennung den größten Raum ein. In den Anerke…