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DAS WUNDER VON LENINGRAD, dieser Bericht eines Zeitzeugen, besticht durch große Bildhaftigkeit und Gedankentiefe. Erwin Johannes Bachs Leben verlief dramatisch, 1897 in Hildesheim geboren, verlor der spätere Komponist und Schriftsteller im I. Weltkrieg seinen Bruder eine lebenslange Wunde -, musste auch selbst an die Front. Er studierte in verschiedenen Disziplinen, publizierte ein wichtiges musikwissenschaftliches Werk: DIE VOLLENDETE KLAVIERTECHNIK, schuf vier Sinfonien von denen drei durch Flucht und Krieg verlorengingen. 1934 mit seiner jungen Frau vor den Nationalsozialisten in die UdSSR geflohen, geriet er in die Stalinschen "Säuberungen", erlebte Erniedrigung und Verbannung. Die Familie (drei Kinder wurden geboren) war zu einer Odyssee mit den Stationen Moskau, Odessa, Swerdlowsk im Ural, Tomsk in Sibirien, Taschkent in Usbekistan gezwungen. Bei Kriegsausbruch hatte es Bach nach Leningrad verschlagen, das schon bald einem der grausamsten Vernichtungsfeldzüge der deutschen Wehrmacht ausgesetzt war. Von dieser Blockade handelt der hier erstmals veröffentlichte Text, von den zerschossenen Häusern, den verhungernden, erfrierenden Menschen dieser einst so prächtigen Stadt. Und doch ist es keine Botschaft der Resignation oder gar Verzweiflung, denn Bach glaubte an die innere Kraft des Menschen. Ein Tschaikowski-Konzert im eisigen Winter 1941/42 wird ihm zum Beweis für Mut und Unbeugsamkeit gegenüber böswillig-mörderischer Zerstörung. Eine Botschaft, die durch ihre tiefen Wahrheiten überzeugt! Dieses Buch, das anlässlich des 120. Geburtstages von E. J. Bach erscheint, ist ein Zeugnis menschlicher Standhaftigkeit in größter Not. Ergänzt wird der Text durch Artikel und Briefe über Leben und Werk dieses zu Unrecht vergessenen Künstlers. Zu den Herausgebern Aljonna Möckel, geb. Bach, ist eine bekannte Übersetzerin, die gemeinsam mit ihrem Mann auch schon schriftstellerisch tätig war. Klaus Möckel ist Autor zahlreicher Bücher verschiedener Genres ("Hoffnung für Dan", "Die Gespielinnen des Königs"). Beide bemühen sich seit mehreren Jahren, das musikalische und literarische Erbe des Komponisten E. J. Bach dem Vergessen zu entreißen.
Autorentext
Erwin Johannes Bach wurde am 13. Oktober 1897 in Hildesheim geboren und ist dort aufgewachsen. Er erlebte die Schrecken des 1. Weltkriegs als Soldat und studierte von 1921-26 in Berlin Musikwissenschaft und Philosophie. Ab 1926 war er als Konzertpianist, Musikpädagoge und Schriftsteller tätig. 1929 veröffentlichte er sein wichtigstes Werk "Die vollendete Klaviertechnik", das in Fachkreisen nachhaltige Wirkung hervorrief. Er trat Mitte der zwanziger Jahre in die KPD ein und beteiligte sich nach Hitlers Machtantritt am antifaschistischen Widerstand. Wegen illegaler Arbeit, aber auch wegen seiner jüdischen Herkunft von Verhaftung bedroht, emigrierte er 1933 mit seiner Frau zunächst nach Prag und 1934 nach Moskau, wo er 1935 zum Professor für Musikwissenschaften ernannt wurde. Er lehrte an verschiedenen Konservatorien, u.a. in Moskau, Swerdlowsk und Odessa. Im Zuge der stalinistischen "Säuberungen" wurde Bach 1937 mit seiner Frau und einem inzwischen geborenen Sohn ins sibirische Tomsk verbannt, wo er seine Lehrtätigkeit noch eine Zeit lang fortführen konnte. Nach einem Brief an Stalin wurde er nach Mitschurinsk verbannt, konnte aber 1941 infolge einer ersten Rehabilitierungswelle nach Moskau zurückkehren. Während des 2. Weltkriegs blieb die mittlerweile fünfköpfige Familie zeitweilig getrennt. Nach dem Vormarsch deutscher Truppen auf Moskau wurde Bach mit seiner Frau und einer 1941 geborenen Tochter nach Leningrad evakuiert, wo sie in die Leningrader Blockade gerieten und diese nur knapp überlebten. Die beiden Söhne mussten vorübergehend in ein Kinderheim nahe Jaroslawl gebracht werden. Die erneute Evakuierung mit der nun wieder vereinigten Familie entwickelte sich zur dramatischen Irrfahrt über Gorki, Molotow, Russajewka, Ufa bis ins usbekische Taschkent. Dort erhielt er am Staatlichen Konservatorium eine Professur für Klavier. 1947 kehrte die Familie nach Deutschland zurück, wo Bach die Leitung der Internationalen Musikbibliothek in Berlin übernahm. Er unterrichtete Meisterschüler aus dem In- und Ausland im Klavierspiel und übersetzte Gedichte und humoristische Prosa aus dem Russischen. Bach schuf vier Sinfonien, von denen zwei in Deutschland zurückgelassen werden mussten und verschollen sind. Eine dritte ging während der Leningrader Blockade verloren. Die vierte, "Sinfonisches Fresko", mit dem Untertitel "Ruf an die Menschheit", entstand 1956 und wurde 2016 in seiner Geburtsstadt Hildesheim uraufgeführt. Erwin Johannes Bach starb am 9. August 1961 in Berlin.
Leseprobe
Die Stadt Leningrad, zerfasert und zerfleischt, deren letzten Lebensäußerungen noch der Krieg und die Blockade den Stempel aufdrückten, erkannte innerlich den Krieg nicht an. Die Fabriken arbeiteten weiter. Die Menschen, als es keine Straßenbahnen und Verkehrsmittel mehr gab, übernachteten auf den Arbeitsstätten oder machten täglich unter Beschuss und Bombardierung meilenlange Wege hin und zurück, unter Trümmern auf in den Schnee eingetretenen Zickzackpfaden in der weißverwehten Stadt, im Winter 1941/42, im Winter 1942/43. Aber es gab in jenem Leningrad kein stummes, kein schicksalergebenes selbst tapferes Ertragen, wie in anderen belagerten Städten, sondern man war sich einer Aufgabe, und mehr als das, war sich einer Mission bewusst. Die Menschen fielen auf den Straßen und Plätzen vor Kälte, vor Hunger und vor Erschöpfung um, aber die Schulen und Hochschulen blieben in Tätigkeit. Als durch die Stadt unzählige Lastkraftwagen fuhren, hochbeladen mit Leichen, Handschlitten gezogen wurden mit Toten, für welche die Särge fehlten, blieben die Museen geöffnet, spielten die Theater und die Lichtspielhäuser, wurden Premieren herausgebracht, Konzerte gegeben. Als in gefrorenem Zustande die Leichname, welche nicht bestattet werden konnten, in den Zimmern durch Wochen aufbewahrt wurden, weigerten sich die Institute, weigerte sich die Akademie der Bildenden Künste, evakuiert zu werden, durch Flugzeuge über die Front hinweg die einzige Möglichkeit. Es arbeiteten weiter die Forschungsinstitute der Stadt, es arbeitete weiter das Wissenschaftliche Forschungsinstitut für Theater und Musik, an welchem ich selber tätig war, und dessen Kunstschätze, Sammlungen, die Instrumentensammlung, die Forschungsmodelle neuer Instrumente in Sicherheit gebracht worden waren. Der Musikhistoriker, Professor Gruber, mein Kollege, welcher zufällig mit einem wissenschaftlichen Auftrag mehrere Monate auswärts war, ließ sich ins belagerte Leningrad einfliegen, wo er bis zum Kriegsende, in der Druckerei übernachtend, vor Hunger sterbend, über die Drucklegung seines Werkes und die Sicherstellung der Matrizen wachte. Das Werk wurde während der Belagerung in kostbarer Ausgabe zu Ende gedruckt. Schostakowitsch schrieb in der blockierten Stadt seine Siebente Symphonie, die Leningrader Symphonie. Im August 1942, noch während der schlimmsten Zeit, erklang sie zum ersten Male in der festlich erleuchteten Leningrader Philharmonie. Hierfür gab es elektrischen Strom. Beschuss und Bombardement existierten nicht für Publikum und nicht für Orchester. Bei den noch alarmierten, aber dennoch gefasst in eine lichte Zukunft weisenden, triumphierenden Schlussklängen des letzten Satzes erhoben sich die Zuhörer von ihren Plätzen. Woher nahmen sie die Zuversicht und die Gewissheit, damals zur schlimmsten Zeit, in der noch völlig abgeschnittenen Stadt? Konzertsäle wurden vernichtet, das Opernhaus schwer beschädigt, die Ensembles suchten sich andere Plätze. Das Dramatische Theater brachte Stücke zeitgenössischer Schriftsteller und Klassiker des In- und Auslandes zur Aufführung: der Franzosen, der Deutschen, der Amerikaner. Die Operette arbeitete während der ganzen Zeit der Blockade, die Theater waren stets überfüllt. In den Konzertsälen und Schauspielhäusern sta…