Willkommen. Schön, sind Sie da!
Mein Ex Libris

Beckett über die Jonah-Colley-Reihe

Mit «Die Verlorenen» startet der Bestsellerautor Simon Beckett eine neue Thriller-Reihe. Im Interview hat uns der Brite mehr über den Protagonisten und seinen Schaffensprozess erzählt.

Simon Beckett hautnah

Interview von Ex Libris

Bild: © Katharina Werner
Bild: © Willi Weber

Lieber Herr Beckett, «Die Verlorenen» ist der erste Band Ihrer neuen Romanserie. Können Sie uns etwas mehr über den Protagonisten Jonah Colley erzählen?
Jonah ist ein Officer des Londoner Metropolitan Police Service, auch wenn es sich bei dem Buch nicht um einen Polizeiroman handelt und wir ihn – aus Gründen, auf die ich hier nicht eingehen werde - im Roman gar nicht im aktiven Dienst sehen. Er ist ganz anders als mein anderer Protagonist, David Hunter. Hunter ist reflektierter und schneller innerlich engagiert. Jonah hingegen ist aktiver und körperlicher. Das ist natürlich teilweise auf die Anforderungen in seinem Job zurückzuführen. Er treibt sich aber auch selbst immer wieder körperlich an. Das ist seine Art, seine inneren Dämonen zum Schweigen zu bringen. Als ihm am Anfang des Buchs dieses Druckventil verwehrt ist, kommt er damit sehr schlecht zurecht.
Eine Sache, die Jonah mit Hunter gemeinsam hat, ist die Tatsache, dass sich beide nach einem niederschmetternden Verlust ein neues Leben aufbauen mussten. Sie unterscheidet aber, und auch da möchte ich nicht zu viel verraten, dass er immer noch von Unsicherheit und Schuld geplagt wird. Er hat gelernt, damit zu leben, bis etwas geschieht, das ihn zwingt, alles infrage zu stellen, woran er bisher geglaubt hat. So wird sein Leben zum zweiten Mal auf den Kopf gestellt und er beginnt zu begreifen, dass Vergangenheit und Gegenwart vielleicht eng miteinander verknüpft sind. Von da an ist er wie getrieben, absolut entschlossen, der Wahrheit auf die Spur zu kommen, ohne Rücksicht auf Verluste.

Woher kam die Inspiration für Ihr neues Buch?
Da gab es keine spezielle Inspiration. Jedes meiner Bücher tritt auf andere Weise in mein Leben, und der Ursprung von «Die Verlorenen» war eigentlich, dass ich plötzlich die Idee zur Eröffnungsszene hatte, die nachts in einem verlassenen Lagerhaus spielt. Der Rest der Geschichte hat sich von da aus entwickelt.
Auch wenn mir die Arbeit an den David-Hunter-Büchern immer noch Freude macht, ist es doch manchmal gut, eine Pause von der Serie zu machen, wie es schon bei «Der Hof» der Fall war. Ich hatte das Gefühl, es wird Zeit, mal etwas anderes zu schreiben, einen dichten, superspannenden Thriller, sehr tempogeladen, aber auch sehr atmosphärisch. Allerdings wollte ich es dann auch wieder nicht zu anders: David-Hunter-Fans sollte es schon noch gefallen.

Wie viel Zeit lag zwischen der ersten Idee zu «Die Verlorenen» und der Fertigstellung?
Zu viel, wie immer. Ich hatte die Idee zu «die Verlorenen», während ich noch an «Totenfang» gearbeitet habe, dem fünften David-Hunter-Roman, und das Ganze nahm dann in den folgenden Jahren in meinem Kopf langsam Gestalt an. Ich mag es, wenn die Geschichte und ihre Figuren Zeit haben, sich wirklich zu entwickeln. Tatsächlich geschrieben habe ich dann rund zwei Jahre, was länger ist, als mir lieb ist. Sobald ich erst mal ein richtiges Gefühl für die Geschichte und die Figuren habe, geht es eigentlich relativ schnell. Was Zeit braucht, ist, in die Haut einer ganz neuen Figur wie Jonah Colley zu schlüpfen. In dieser Phase schreibe ich vieles immer wieder um, verwerfe Szenen und Kapitel, mit denen ich nicht zufrieden bin. Ich hoffe, dass die Leser trotzdem zu der Ansicht gelangen, dass sich das Warten gelohnt hat.

Wie detailliert arbeiten Sie eine Geschichte aus, bevor Sie mit dem eigentlichen Schreiben beginnen?
So detailliert wie möglich, aber sobald ich anfange zu schreiben, gibt es immer wieder Veränderungen. Sehr viele. Figuren entwickeln sich auf unerwartete Weise. Manchmal stelle ich auch fest, dass der Plot, den ich monatelang entwickelt habe, plötzlich wie von selbst in ganz andere Richtungen geht. Das kann frustrierend sein, aber normalerweise habe ich eine ganz gute Vorstellung davon, wie es ausgehen soll, und auch einige Schlüsselszenen, an denen ich mich orientieren kann, um schliesslich zu diesem Ende zu kommen. Das Grundkonzept – man könnte sagen, das Knochengerüst der Geschichte – bleibt eigentlich mehr oder weniger bestehen, aber das Fleisch drumherum verändert sich, während ich schreibe.

Haben Sie beim Schreiben ein bestimmtes Ritual, irgendeine Künstlermarotte?
Als ich noch jünger war, habe ich in Spanien Englisch als Fremdsprache unterrichtet. Die Kurse fanden abends statt, also schrieb ich morgens mit einer Tasse schwarzem Kaffee aus einem dieser altmodischen Espressokocher. Das mache ich immer noch so, und eigentlich trinke ich auch nur dann meinen Kaffee schwarz. Nicht ganz so exzentrisch wie ein Glas Champagner oder Absinth, aber für mich reicht es.

Welches Buch könnten Sie immer wieder lesen?
Das hat sich im Laufe der Jahre geändert. Einige der Bücher, die früher zu meinen Lieblingen gehörten, geben mir jetzt nicht mehr ganz so viel, wenn ich sie wieder lese. Ich bin nicht sicher, ob das daran liegt, dass ihre Grundhaltung nicht mehr zeitgemäss ist oder dass ich mich verändert habe. Aber eines, das ich mehrfach gelesen habe, ist J. R. R. Tolkiens «Herr der Ringe». Zum ersten Mal habe ich das als Teenager gelesen, und es hat mich wahnsinnig beeindruckt. Neben der gewaltigen Story, in der man sich ganz verlieren kann, hat es mir auch deutlich gemacht, wie effektiv der unerwartete Tod einer Figur sein kann – dieses eigentümliche Vergnügen, wenn einem plötzlich der Boden unter den Füssen weggezogen wird.
Während des Lockdowns habe ich es zum ersten Mal seit Jahren wieder gelesen. Zwar hatte es nicht mehr ganz denselben Effekt wie früher, aber es war doch eine willkommene Abwechslung in diesem Jahr 2020.

Hier gibt's weitere Spannungsmacher von Simon Beckett.